DRV-Jahrestagung 2025

"Mir geht es nicht darum, den Teufel an die Wand zu malen”

Im Interview erklärt der ARD-Wetterexperte Meteorologe Karsten Schwanke wie der Klimawandel unsere Urlaubsziele verändern wird und warum die Tourismusbranche eine zentrale Rolle im Klimaschutz spielt.

"Mir geht es nicht darum, den Teufel an die Wand zu malen”
Foto: Kai Weise // DRV
Herr Schwanke, Sie haben auf der DRV-Jahrestagung eindrücklich über die Folgen des Klimawandels gesprochen. Beginnen wir mit einer grundlegenden Einschätzung: Wie sehr hat sich unser Klima bereits verändert?
Das Klima hat sich weltweit und auch in Deutschland deutlich verändert – und zwar nicht erst seit gestern. Die globale Durchschnittstemperatur ist bereits um etwa 1,2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau angestiegen. In Deutschland erleben wir diesen Wandel noch ausgeprägter. Unsere Sommer sind heute im Schnitt 2,3 Grad wärmer als noch vor 60 Jahren – das ist keine Theorie, das ist messbare Realität.
 
Was bedeutet das für uns im Alltag?
Ganz konkret: Wir erleben heute mehr Hitzetage, längere Trockenperioden, gleichzeitig aber auch extremere Starkregenereignisse. Das sind keine Ausnahmeerscheinungen mehr, sondern Teil eines sich verändernden Klimas. Allein der Sommer 2022 mit seinen Dürren, Waldbränden und Ernteausfällen war ein deutliches Warnsignal. Und das ist erst der Anfang des Wandels, wenn wir den CO2-Ausstoß nicht drastisch reduzieren.

Sie haben in Ihrem Vortrag das Bild eines „gekippten Systems“ gezeichnet. Was genau beschreiben Sie damit?
Es beschreibt eine gefährliche Dynamik. Klimasysteme können sogenannte Kipppunkte erreichen – Schwellen, bei deren Überschreiten sich Prozesse verselbstständigen und unumkehrbar werden. Ein Beispiel ist das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes. Sobald dieser Prozess einen bestimmten Punkt erreicht hat, kann er nicht mehr gestoppt werden – auch wenn wir alle Emissionen sofort einstellen würden. Solche Kipppunkte sind hochrelevant, weil sie unser gesamtes Klimasystem destabilisieren können.
 
Welche Rolle spielt dabei der Jetstream, den Sie ebenfalls in Ihrer Präsentation thematisiert haben?
Der Jetstream ist ein Starkwindband in der oberen Troposphäre, der das Wettergeschehen auf der Nordhalbkugel wesentlich beeinflusst. In den letzten Jahren beobachten wir, dass sich dieser Jetstream vor allem im Sommer abschwächt und mäandrierender wird. Das führt dazu, dass Wetterlagen länger an Ort und Stelle verharren – Hitzewellen dauern länger, Regengebiete ziehen nicht weiter. Ein Grund, warum extreme Wetterlagen zunehmen.


 
Was sagen Sie Menschen, die den Eindruck haben, der Klimawandel sei ein Problem der Zukunft?
Ich sage: Der Klimawandel ist längst bei uns angekommen. Die Veränderungen, die wir heute sehen, sind das Resultat der Emissionen der letzten Jahrzehnten. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es in Zukunft dramatischer.

Kommen wir zum Tourismus: Wie wird sich der Klimawandel auf das Reisen auswirken – sowohl global als auch für deutsche Urlauber?
Die Veränderungen werden tiefgreifend sein. In klassischen Sommerreisezielen wie Südeuropa wird die Hitzebelastung zunehmen – bis hin zu einem Punkt, an dem Urlaub dort im Hochsommer für viele nicht mehr attraktiv oder sogar gesundheitlich riskant wird. Das wird die Nachfrage verändern: hin zu nördlicheren Destinationen, in höhere Lagen, möglicherweise auch zu mehr Inlandstourismus.

Welche Verantwortung hat die Tourismuswirtschaft in dieser Transformation?
Der Tourismussektor verursacht laut Studien etwa acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Hier brauchen wir konsequente Strategien: CO2-Kompensation allein reicht nicht mehr. Es geht um Emissionsvermeidung, um einen Umbau der Infrastruktur und auch um ehrliche Kommunikation mit den Kunden. Transparenz ist entscheidend.

Wie kann Klimakommunikation in der Branche gelingen, ohne abzuschrecken oder zu moralisieren?
Indem man Fakten vermittelt, ohne zu belehren. Menschen sind bereit, sich auf Veränderungen einzulassen – wenn sie verstehen, warum diese notwendig sind. Wir müssen die Auswirkungen des eigenen Handelns nachvollziehbar machen, aber auch Lösungen aufzeigen. Positive Narrative helfen: nachhaltiger Tourismus als Beitrag zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen, nicht als Verzicht.

Sie sprachen auch von der „Verlagerung der Reisewünsche“. Was bedeutet das?
Mich sprechen immer mehr Menschen an und fragen mich nach kühleren Sommerdestinationen im Norden Europas oder in den Bergen. Das hat aber auch emotionale Gründe. Menschen suchen Natur, Ruhe, Authentizität – und auch Sicherheit vor extremen Wetterereignissen. Das eröffnet Chancen für weniger frequentierte Reiseziele, stellt aber Anforderungen an die Infrastruktur und die ökologische Verträglichkeit.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Branche ein, sich auf diesen Wandel einzulassen?
Ich nehme durchaus Bewegung wahr. Viele Unternehmen und Destinationen sind sich ihrer Verantwortung bewusst und arbeiten an nachhaltigen Konzepten. Aber es geht nicht schnell genug. Es braucht
klare politische Leitplanken, Investitionen in klimafreundliche Mobilität und vor allem: einen Schulterschluss aller Akteure.
 
Gibt es positive Beispiele, die Ihnen Hoffnung machen?
Ja, zum Beispiel die Bemühungen um ein besseres europäisches Eisenbahnnetz, vor allem mit Schnellzügen und Schlafwagen. Da wünsche ich mir natürlich noch mehr und ein höheres Tempo beim Ausbau der Angebote. Oder immer mehr Urlaubsorte auch bei uns in Deutschland, die konsequent auf sanfte Mobilität und klimaneutrale Beherbergung setzen. Auch im Bildungsbereich passiert viel – etwa in der Ausbildung von Touristikerinnen und Touristikern mit Fokus auf Nachhaltigkeit. Das zeigt: Der Wandel ist möglich.
 
Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der in die Tourismusbranche einsteigen möchte – trotz oder gerade wegen des Klimawandels?
Ich würde sagen: Genau jetzt ist der richtige Moment. Die Branche steht vor einem grundlegenden Umbruch – und junge Menschen können ihn aktiv estalten. Wer heute Tourismus studiert oder sich beruflich in diesem Bereich engagiert, hat die Chance, Teil der Lösung zu sein. Nachhaltiger Tourismus ist kein Nischenthema mehr – er wird zum neuen Standard.
 
Und was wünschen Sie sich ganz persönlich für die Zukunft des Reisens?
Ich wünsche mir, dass wir das Reisen wieder als etwas Besonderes begreifen – als Möglichkeit zur Begegnung, zur Horizonterweiterung, aber auch als Privileg. Wenn wir lernen, mit diesem Privileg achtsamer umzugehen, dann kann Reisen auch in Zeiten des Klimawandels eine positive Kraft bleiben. Dafür müssen wir aber heute die richtigen Weichen stellen.
 
Herr Schwanke, vielen Dank für das Gespräch.

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INFOS ZUR PERSON
Karsten Schwanke, geboren 1969 in Ziesar, ist studierter Meteorologe und seit über zwei Jahrzehnten als Wetter-Experte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen tätig. Nach seinem Studium in Berlin und Hamburg arbeitete er zunächst in der Forschung, bevor er sich der Wissenschaftskommunikation zuwandte. Bekannt wurde er durch seine Auftritte bei ARD-Wettersendungen sowie als Moderator von Wissenschaftsformaten wie „W wie Wissen“. Schwanke ist leidenschaftlicher Vermittler von Klimathemen und setzt sich dafür ein, Zusammenhänge zwischen Wetter, Klimawandel und gesellschaftlichen Entwicklungen verständlich zu machen.