Es war ein Paukenschlag, als bekannt wurde, dass ausgerechnet Branchenprimus TUI zum Jahresende aus dem Deutschen Reiseverband austreten wird. Im Interview spricht Verbandspräsident Norbert Fiebig über die Hintegründe und wie es jetzt im DRV weitergehen soll.
TUI-Chef Sebastian Ebel hatte dem Verband zuletzt vorgeworfen, zu heterogen aufgestellt zu sein und sich deshalb nicht mehr klar positionieren zu können, weil man auf zu viele Interessen Rücksicht nehmen muss. Stimmt das im Kern? Wir vertreten die gesamte Reisewirtschaft und haben ebenso große Konzerne wie kleine und mittlere Unternehmen in unseren Reihen. Unsere Positionen werden im Sinne der Branche in ausführlichem fachlichen Austausch von Argumenten nach dem Mehrheitsprinzip gebildet. Hier hat jeder die Möglichkeit, sich durch inhaltliche Überzeugung Mehrheiten für seine Sichtweise zu sichern und damit die Positionierung des Verbandes mitzugestalten. Wünschenswert ist, dass Mehrheitsentscheidungen auch dann mitgetragen werden, wenn man selbst eine andere Meinung vertritt. Denn klar ist, Geschlossenheit nach außen macht ja die Stärke eines Verbandes aus.
Außerdem gibt es das Gerücht, dass es im Streit auch darum ging, dass sich der DRV nach Vorstellung der TUI frühzeitig zur finanziellen Lage von FTI öffentlich hätte äußern und eine Warnung aussprechen sollen. Ist das überhaupt rechtlich zulässig? Es ist nicht die Aufgabe eines Wirtschaftsverbandes wie dem DRV, die finanzielle Situation von Unternehmen öffentlich zu bewerten oder gar Warnungen auszusprechen. Das gilt auch für Mitgliedsunternehmen. Als DRV sind wir keine Rating-Agentur. Selbst bei Unternehmen unserer Branche, die über ein Rating einer renommierten Agentur verfügen, verzichten wir bewusst darauf. Und ja, es ist auch rechtlich nicht unbedenklich. Ich erinnere an den Fall Breuer (Deutsche Bank) gegen das Medienunternehmen Kirch.
TUI will, dass eine Pflicht zur Insolvenzversicherung nicht nur für Pauschalreise-Anbieter gilt, sondern auch für gebuchte Einzelleistungen, wie Flug oder Hotelbuchung. Warum macht sich der DRV nicht dafür stark? Wir haben uns zu diesem Thema intensiv im DRV-Vorstand ausgetauscht und auch den renommierten Reiserechtler Professor Ansgar Staudinger zu den Beratungen hinzugezogen. Aus Sicht des DRV-Vorstandes – übrigens einstimmig mit einer Ausnahme – ist eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Pauschalreiserichtlinie auf Einzelleistungen nicht erforderlich und würde zu einer Überregulierung führen. In der aktuellen Diskussion stellt sich aber auch die Frage, welche Einzelleistungen konkret abgesichert und welche Ziele damit erreicht werden sollen. Völlig unklar sind in dieser Diskussion bisher die Fragen der Umsetzung und Durchsetzbarkeit sowie der Haftung. Ein äußerst komplexes Thema. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher transparent über die Unterschiede der Reiseformen und die jeweilige Absicherung informiert werden. Bei Einzelleistungen erhalten sie bislang keine verpflichtende Information. Dann können sich die Kunden ganz bewusst für oder gegen eine Pauschalreise – und damit für oder gegen eine Absicherung – entscheiden. Diese Informationen müssten sowohl bei der Online-Buchung über OTAs als auch bei der Beratung im Reisebüro vermittelt werden.
Verliert der DRV mit seinem größten Mitglied sowie mit dem Wegfall von FTI politische Einflussnahme, vor allem in Brüssel? Im politischen Austausch sind verlässliche Partner wichtig. Wir haben im politischen Berlin und in den maßgeblichen Ministerien eine sehr gute Reputation und sind als Ratgeber für die politische Entscheidungsfindung bei Branchenthemen sehr geschätzt. Und auch in Brüssel sind wir zusammen mit der ECTAA sehr gut aufgestellt und können unsere Informationen und Sichtweisen in die politische Diskussion einbringen. Daran wird sich meiner Einschätzung nach auch mit einem Austritt der TUI Ende des Jahres nichts ändern. Auch dann haben wir als DRV ausreichend Gewicht und werden weiterhin die überwiegende Mehrheit der Unternehmen des organisierten Reisemarktes repräsentieren. Dessen ungeachtet bedauern wir die Entscheidung der TUI, und ich möchte betonen, dass unsere Türen weiterhin offen sind.
Auffällig ist ebenfalls, dass Forderungen der TUI in den letzten Wochen, etwa eine personelle Neubesetzung an der Spitze des Verbands, auch lautstark von einem Verband gefordert wurden. Wie ist das einzuordnen? Diese Frage müssten Sie der TUI und dem anderen Verband stellen.
Der TUI-Austritt wird in der Branche kontrovers diskutiert. Klar ist, die strategische Ausrichtung und Interessen eines Konzernes in Hinblick auf andere, globale Player in der Touristik sind ganz anders als die eines Verbands, oder? Ja – dem ist so, und das ist unter Wettbewerbsgesichtspunkten ja auch völlig klar und nachvollziehbar. Ein Verband arbeitet im Sinne der gesamten Branche – und eben nicht einseitig für einzelne Unternehmen. Dabei ist es wichtig, als Wirtschaftsverband die Branche an der Sache orientiert und mit guten Argumenten gegenüber der Politik zu vertreten – und ein Problembewusstsein zu schaffen.
Lässt sich Verbandsarbeit noch ausreichend finanzieren? Ja. Wir sind als Verband strukturell und finanziell gut aufgestellt und auch mit einem Austritt der TUI weiterhin voll leistungsfähig. Ohne die TUI und mit der Insolvenz von FTI hätten wir im kommenden Jahr etwa zehn Prozent geringere Mitgliedsbeiträge.