Norbert Fiebig im Interview mit TRVL COUNTER

„Wir brauchen weniger Regulierung – und mehr Vertrauen in die Branche“

Im Abschiedsinterview spricht Norbert Fiebig über politische Zumutungen, die Zukunft der Pauschalreise und die Frage, ob Reisen in Deutschland ein Luxusgut zu werden droht.

„Wir brauchen weniger Regulierung – und mehr Vertrauen in die Branche“
Nach elf Jahren an der Spitze des DRV zieht Norbert Fiebig Bilanz. Foto: DRV/Marcel Kautz
Elf Jahre lang war Norbert Fiebig die Stimme der deutschen Reisewirtschaft. Auf dem DRV-Hauptstadtkongress 2025 in Berlin hielt er seine letzte Grundsatzrede als Präsident – ein pointierter Rückblick und ein klarer Appell an Politik und Branche. Im Interview spricht Fiebig über eine ausufernde Regulierung aus Brüssel, staatlich verursachte Kostensteigerungen, den Kampf um die Pauschalreise, Klimaschutz, Nachwuchsmangel – und warum er den Glauben an die Gestaltungsfähigkeit der Branche nicht verloren hat.

Herr Fiebig, Sie haben heute Ihre letzte Grundsatzrede als DRV-Präsident gehalten. Wenn Sie auf die vergangenen elf Jahre zurückblicken: Was hat sich wirklich verändert?

Die großen Themen sind erstaunlich stabil geblieben – von der Pauschalreiserichtlinie über Bürokratie bis zu Luftverkehrskosten. Geändert haben sich aber die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Brüssel reguliert heute massiver denn je, die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist angespannter, und die Spielräume der Unternehmen sind kleiner geworden. Gleichzeitig ist die Branche widerstandsfähiger geworden. Wir sind heute politisch deutlich präsenter und selbstbewusster als zu Beginn meiner Amtszeit. Aber das reicht nicht. Wir brauchen jetzt konkrete Entlastungen durch die Politik – nicht nur warme Worte.

Die Pauschalreise war und ist ein zentrales Thema Ihrer Amtszeit. Warum ist sie für Deutschland so wichtig?

Weil sie das Rückgrat unseres Marktes ist. Über 40 Prozent aller in der EU gebuchten Pauschalreisen entfallen auf Deutschland – kein anderes Land spielt eine vergleichbare Rolle. Für uns ist die Pauschalreise kein Nischenprodukt, sondern das Fundament der Reisewirtschaft. Sie schafft Sicherheit für Verbraucher, planbare Erträge für Veranstalter und verlässliche Strukturen für Vertriebspartner. Genau deshalb sind Eingriffe aus Brüssel hier besonders gefährlich. Was für kleinere Märkte in der EU ein Randthema ist, kann bei uns die gesamte Branche ins Wanken bringen.
 
Und Brüssel versteht das nicht?

Viele Entscheidungsträger dort haben die Pauschalreise schlicht nicht in dieser Dimension vor Augen. In vielen Mitgliedsstaaten spielt sie kaum eine Rolle. Wenn man aus dieser Perspektive Regulierung macht, kommt schnell etwas heraus, das für Deutschland existenzielle Folgen haben kann. Deshalb kämpfen wir so vehement für ein ausgewogenes Verhältnis von Verbraucherschutz und wirtschaftlicher Tragfähigkeit.
 
Sie haben mehrfach betont, dass die Branche an Regulierung zu ersticken droht. Ist das nicht übertrieben?

Keineswegs. Wir brauchen Regeln, aber faire Regeln. Die Pauschalreise ist das am besten abgesicherte Produkt, das es gibt – trotzdem ist sie das Lieblingskind der Verbraucherschützer in Brüssel. Die geplanten Änderungen bei der Pauschalreiserichtlinie würden die wirtschaftliche Substanz der Reisebüros und Reiseveranstalter angreifen. Eine Ausweitung der Stornierungsmöglichkeiten würde das allgemeine Lebensrisiko noch stärker auf die Veranstalter abwälzen, und der Vertrieb wäre in seiner Gestaltungsfreiheit eingeschränkt. Das hat etwas von einem Frontalangriff auf bewährte und gut funktionierende Geschäftsmodelle.
Aber genau das soll doch Verbraucherschutz sein.

Verbraucherschutz ist wichtig – aber er darf nicht zur wirtschaftlichen Einbahnstraße werden. Die Branche kann nicht beliebig Risiken übernehmen, die eigentlich im allgemeinen Lebensrisiko der Kunden liegen. Wenn die EU das durchdrückt, könnten nicht nur Veranstalter, sondern auch viele Reisebüros existenziell unter Druck geraten. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie diese Positionen, denen sie ja uneingeschränkt zustimmt, in Brüssel entschieden durchsetzt.

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist angespannt. Wie stark trifft das die Reisebranche?

Deutlich. Wir haben ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent – das ist extrem schwach. Die Kauflaune ist gedämpft, die Preissensibilität gestiegen. Wer in dieser Situation noch Tourismusabgaben oder Steuererhöhungen obendrauf legt, verschärft das Problem künstlich. Die Menschen wollen reisen, aber sie können nicht unbegrenzt mehr bezahlen.

Sie haben die Luftverkehrssteuer und Sicherheitsgebühren kritisiert. Warum ist das so zentral?

Weil der Luftverkehr das Rückgrat unserer Branche ist. Wenn Airlines ihre Flotten ins Ausland verlegen, weil Standortkosten in Deutschland zu hoch sind, verlieren wir Angebotsvielfalt – und am Ende zahlen die Verbraucher drauf. Wenn Flugreisen zum Luxusgut werden, verlieren wir nicht nur Marktanteile, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe. Reisen darf nicht zur Frage des Einkommens werden.

Nachhaltigkeit ist für die Branche längst kein Randthema mehr. Wie viel Verantwortung trägt die Touristik hier selbst?

Eine große Verantwortung. Klimaschutz ist kein Modetrend, sondern Notwendigkeit. Aber wir müssen die richtigen Hebel ansetzen. Die Branche hat die Notwendigkeit erkannt – was fehlt, ist insbesondere der Treibstoff. Wir brauchen endlich verlässliche Rahmenbedingungen für E-Fuels und alternative Energien. Es reicht nicht, wenn die EU immer nur Vorgaben macht. Die Produktion muss hochgefahren werden – zu Preisen, die tragfähig sind. Denn bezahlbare, perspektivisch klimaneutrale Mobilität ist Voraussetzung für Urlaubsreisen und unabdingbar auch für Geschäftsreisen und deren gesellschaftliche und politische Akzeptanz.

Kritiker sagen, die Branche sei hier immer noch zu passiv.

Ich halte das für eine verkürzte Sicht. Die Branche investiert, sie entwickelt Angebote und verändert ihre Prozesse. Aber wir können nicht gleichzeitig Innovation vorantreiben und gegen politische Hürden ankämpfen, die die Transformation verteuern. Nachhaltigkeit gelingt nur gemeinsam – mit Politik, Industrie und Kunden.

Ein Erfolg der letzten Jahre war der Deutsche Reisesicherungsfonds (DRSF). Wie sehen Sie seine Zukunft?

Der DRSF ist nicht irgendein Fonds – er ist ein industriepolitisches Instrument. Er sichert das Vertrauen der Verbraucher in die Pauschalreise und stabilisiert damit den Kern unseres Geschäftsmodells. In keinem anderen europäischen Land gibt es ein vergleichbares Sicherungssystem, das in so kurzer Zeit mit einem derart hohen finanziellen Beitrag der Veranstalter entstanden ist. Wir haben innerhalb kürzester Zeit eine leistungsfähige Struktur aufgebaut, die auf Stabilität und Vertrauen zielt. Wer über Pauschalreise redet, muss auch über ihre Absicherung reden.

Die Entgeltabsenkungen sind ein wichtiger Schritt.

Ganz genau. Die Absenkung auf 0,5 Prozent ist ein klares Signal an die Unternehmen. Zielstellung bleibt: Wann immer und wo immer es möglich ist, müssen weitere Entlastungen erfolgen. Bei weiterhin positivem Schadensverlauf kann es Richtung 0,0 Prozent gehen. Das verschafft den Veranstaltern und mittelständischen Playern mehr finanziellen Spielraum.

Und was kommt danach?

In der nächsten Stufe geht es um mehr Flexibilität bei den Sicherheitsleistungen. Unternehmen mit gutem Risikoprofil sollten weniger stark belastet werden. Gleichzeitig bleibt der Schutz für den Verbraucher unangetastet. Das macht das System nicht nur effizienter, sondern auch gerechter.

Wie steht die Branche 2025 da?

Die Reiselust ist trotz geopolitischer Krisen, Inflation und Preisdruck ungebrochen. All-inclusive boomt, Kreuzfahrten sind ein Wachstumstreiber, Fernreisen laufen sehr gut. Besonders erfreulich ist, dass die Pauschalreise wieder über 50 Prozent Marktanteil liegt. Frühbucher geben der Branche Planungssicherheit – das zeigt sich auch in einer sehr stark angelaufenen Wintersaison.

Aber gleichzeitig sparen viele bei den Ausgaben am Zielort.

Ja, das ist eine Folge des Preisdrucks. Es profitieren eher günstige Destinationen – etwa Bulgarien, Thailand oder Ägypten. Wir müssen diese Entwicklung realistisch einschätzen: Die Nachfrage ist da, aber der Spielraum der Konsumenten ist begrenzt.
 
Eines Ihrer Schlussworte galt dem Fachkräftemangel. Wie groß ist die Bedrohung?

Sie ist real. Ohne gut ausgebildete Fachkräfte wird es die Branche künftig schwer haben. Neben der Notwendigkeit die Aufmerksamkeit unserer Branche bei den Zielgruppen zu erhöhen und uns hier interessant zu machen, müssen wir vor allem als Arbeitgeber attraktiv sein, ganz besonders bei jungen Menschen. Gleichzeitig verändert die Digitalisierung die Branche immer schneller. KI wird Geschäftsmodelle verschieben, klassische Wertschöpfungsstufen verwischen. Wer diese Entwicklung aktiv gestaltet, wird profitieren. Wer sie ignoriert, könnte abgehängt werden.

Nach elf Jahren an der Spitze des DRV – was bleibt für Sie persönlich?

Dankbarkeit. Es war mir eine große Ehre, diese Branche vertreten zu dürfen. Ich habe viele Menschen erlebt, die mit Leidenschaft für das Reisen brennen. Diese Leidenschaft ist die eigentliche Stärke der Branche. Ich gehe mit Zuversicht – nicht, weil die Herausforderungen kleiner geworden sind, sondern weil ich weiß, dass diese Branche anpacken kann.