Paneldiskussion

„Die Reisebranche muss sich mehr gefallen lassen“

Was Journalisten auf den VIR Innovationstagen der Touristikbranche ins Stammbuch schreiben – ein Reality-Check mit Nachhall.

„Die Reisebranche muss sich mehr gefallen lassen“
Foto: TRVL Counter
Schöner Schein reicht nicht mehr: Beim Medienpanel der VIR Innovationstage forderten drei Journalisten mehr Ehrlichkeit von der Touristik – und hielten der Branche den Spiegel vor. Zwischen KI-Hype, PR-Müdigkeit und Social-Media-Illusionen wurde klar: Service, Glaubwürdigkeit und Kritikfähigkeit sind mehr denn je gefragt.

Verklärung statt Verantwortung?
Beim Medienpanel der VIR Innovationstage in Berlin stellten drei Journalisten der Touristikbranche unbequeme Fragen – und spiegelten, wie kritisch Konsumenten mittlerweile auf Reisen blicken. Zwischen KI-Hoffnungen, PR-Müdigkeit und Social-Media-Trugbildern wurde klar: Die Touristik muss mehr liefern – in Service, in Glaubwürdigkeit, in Selbstkritik. Und sie muss lernen, mit Kritik souveräner umzugehen. Eine Debatte mit Tiefgang.

Der Mensch im Spiegel
„Wir reden viel zu oft untereinander – aber nicht darüber, wie andere uns sehen.“ Mit diesem ehrlichen Impuls eröffnete Moderator Roman Borch die Diskussionsrunde, die den zweiten Tag der VIR Innovationstage in Berlin einleitete. Eingeladen waren drei profilierte Journalisten: Tom Nebe (dpa), Mauritius Kloft (T-Online) und Jürgen Drensek (VDRJ-Ehrenpräsident). Drei Stimmen, drei Perspektiven – und eine gemeinsame Diagnose: Die Tourismusbranche hat ein Kommunikationsproblem. Und ein Wahrnehmungsproblem gleich dazu.
Die Idee hinter dem Panel: Die Perspektive wechseln. Weg von der Innensicht, hin zu denen, die täglich im direkten oder indirekten Austausch mit Millionen von Konsumenten stehen. Sie sollten der Branche den Spiegel vorhalten – nicht anklagend, sondern reflektierend. Denn genau das fehlt, so Borch: „Wir diskutieren in dieser Branche viel zu selten mit denen, die außerhalb unserer Filterblase unterwegs sind.“

Emotionalität schlägt Automatisierung
Tom Nebe, zuständig für Verbraucherthemen bei der dpa, machte sich zum Fürsprecher des Reisenden: „Der Mensch ist wichtiger als die Maschine. Die emotionale Dimension von Reisen darf nicht unter digitalen Prozessen begraben werden.“
Gerade in Zeiten automatisierter Kundenbetreuung und Chatbots bleibe echter Service zentral, so Nebe. „Der Kunde will am Ende mit einem Menschen reden – nicht mit einem Bot, der ihn zur Hotline weiterschickt.“ Künstliche Intelligenz sei ein wertvolles Tool, aber kein Ersatz für Empathie und persönliche Hilfeleistung. Service sei ein Vertrauensgut – und genau das dürfe die Branche nicht verlieren.

Nebe berichtete aus seinem Redaktionsalltag, in dem täglich hunderte Mails aus der Branche eingehen: von Preisa
nalysen über Check24-Auswertungen bis zu Reiserechtsfällen. Er versuche stets, den journalistischen Fokus auf Nutzwert zu legen. “Was hilft dem Urlauber konkret? Wo braucht er Orientierung?” KI könne hier unterstützen, aber nicht ersetzen.

Zugleich warnt Nebe davor, sich zu sehr auf Technologie zu verlassen. „Wenn die Technik versagt oder nicht zu Ende gedacht ist, entsteht Frust – nicht Vertrauen.“ Genau das sei oft zu beobachten: Bots, die scheitern. Hotlines, die überfordern. Und Prozesse, die mehr verschleiern als erleichtern.



Strukturwandel statt Schönwetter-PR
Mauritius Kloft von T-Online sieht die Branche vor einer doppelten Herausforderung: gestiegene Kundenerwartungen und veränderte Rahmenbedingungen. „Klimakrise, Kurzfristigkeit, Flexibilität – der Markt fordert neue Modelle. Wer das ignoriert, wird überholt.“
Er diagnostiziert ein Kommunikationsvakuum: „Ich bekomme täglich Themenangebote, die keinerlei Relevanz für Leserinnen und Leser haben. Was fehlt, sind mutige Geschichten und echter Wandel.“
Kloft appelliert an die Branche, ihre strukturellen Defizite offen zu benennen. Die Kommunikation müsse sich ändern: „Viele Verbraucher reisen heute anders, digitaler, bewusster – aber die Angebote wirken oft wie aus einer anderen Zeit.”
Er kritisiert dabei auch die fehlende Innovationsfreude: „Neue Geschäftsmodelle entstehen oft außerhalb der etablierten Player. Die Branche muss sich fragen: Wollen wir gestalten oder nur reagieren?“

Wenn Kritik zur Zumutung wird – der Fall ZDF vs. TUI
Ein Punkt, der die Diskussion emotional auflud, war die Reaktion der Branche auf eine jüngst ausgestrahlte ZDF-Reportage über Mängel im Urlaubserlebnis des Reisekonzerns TUI. Gezeigt wurden Hygienemängel, Serviceversagen und die Diskrepanz zwischen Werbeversprechen und Realität. Nicht revolutionär, in der Brtanche lange bekannt, aber durchaus realitätsnah.

Besonders die Angebote der TUI geriet in die Kritik – nicht wegen der Inhalte des Films, sondern wegen des Umgangs damit. Jürgen Drensek, Ehrenpräsident der VDRJ, fand klare Worte: „Es war keine brillante Reportage, kein pullitzerpresiverdächtiger Film – aber sie hat Dinge gezeigt, die jeder in der Branche kennt. Statt zu reflektieren, wurde geschimpft, diskreditiert, polemisiert. Das hat mich fassungslos gemacht und war peinlich.“

Die Reaktionen reichten von “Lumpenjournalismus” über “Gebührenverschwendung” bis zur Unterstellung, es seien “gekaufte Insider” im Spiel gewesen. Auch die TUI selbst griff zur Abwehrhaltung, statt sich sachlich mit den Kritikpunkten auseinanderzusetzen.
Drenseks Fazit: „Statt souverän zu reagieren, wurde der Bericht delegitimiert. Als ob Praktikanten mit Perücke engagiert worden wären. Das war keine Krisenkommunikation, das war eine PR-Abwehrschlacht.“

Fachlich unangreifbar sei der Bericht vielleicht nicht gewesen, räumte Drensek ein – „aber gerade weil er auf populäre Weise Missstände sichtbar macht, ist er gesellschaftlich relevant.“ Fazit der Runde: Wer Kritik nicht aushält, ist nicht reformfähig. Und wer jede kritische Berichterstattung gleich als Angriff versteht, beschädigt am Ende seine eigene Glaubwürdigkeit.

Influencer, Instagram und Informationsblasen
Ein weiterer Reibungspunkt: Die Rolle von Influencern. Die Journalisten machten deutlich: Zwischen PR-Filtern und Social-Media-Scheinwelten gehe die Glaubwürdigkeit zunehmend verloren.
„Influencer sind Marketingleute, keine Journalisten“, sagte Drensek unmissverständlich. Tom Nebe ergänzte: „Malediven-Bilder im Feed – aber kein Geld auf dem Konto. Das erzeugt Frust, keinen Buchungsanreiz.“ Kloft warnte vor einer zunehmenden Verschiebung der Erwartungen: „Social Media setzt Reisebilder in Szene, die mit der Lebensrealität vieler Menschen nichts zu tun haben. Die Branche verkauft Träume – und schafft dabei Frustration.“

Die Branche müsse aufpassen, dass sie nicht in einer Selbstinszenierung verpuffe, die an der Realität ihrer Kundschaft vorbeigeht. “Es reicht nicht, Wünsche zu bebildern – man muss sie erfüllen können.”
Kritik ist kein Angriff – sondern eine Einladung.

Was bleibt von dieser Diskussion?
Vor allem ein Appell: Die Tourismusbranche muss raus aus der PR-Blase – und rein in den Dialog. Wer Journalismus nur als Verlängerung der Marketingabteilung versteht, hat das Publikum von heute schon verloren. Auch die Medien müssten sich fragen, wie sie Zielgruppen künftig erreichen, so das Panel. Der klassische Reiseteil in der Zeitung habe oft geringe Reichweiten. Visuelle Formate seien gefragt – auch kritisch-reflektierende. 

Die Herausforderung sei nicht, Bilder zu zeigen, sondern Relevanz zu schaffen. Oder, wie Jürgen Drensek es zusammenfasste:n„Die Reisebranche braucht keinen Applaus – sondern einen klaren Spiegel.“

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