VIR Innovationstage

„KI ist der neue Reisebegleiter – aber wer nicht mitgeht, bleibt dauerhaft zurück“

Kurz vor den VIR Innovationstagen warnt Michael Buller: Die Touristik darf die Digitalisierung nicht wieder verschlafen. Im Interview erklärt er, warum KI alles verändert – und was Unternehmen jetzt verlernen müssen.

„KI ist der neue Reisebegleiter – aber wer nicht mitgeht, bleibt dauerhaft zurück“
Foto: Karina Schuh // VIR
Herr Buller, Sie sagen: Wer jetzt nicht handelt, wird in wenigen Jahren keine Rolle mehr spielen. Ist das nicht übertrieben?
Nein, im Gegenteil. Die Touristik hat die Digitalisierung zu oft ausgesessen – mit dem Ergebnis, dass andere Branchen uns abgehängt haben. Mit KI steht jetzt eine neue Veränderung bevor: schneller, tiefgreifender, und – das ist das Entscheidende – viel zugänglicher als alles, was wir bisher erlebt haben.

Was macht den Unterschied zu bisherigen Digitalisierungsschüben aus?
Mit klassischen Digitalisierungsprozessen waren wir oft auf IT-Teams, Budgets und Entwicklungszyklen angewiesen. KI bricht das auf. Heute reichen 20 Dollar und ein Suchfeld. Tools wie n8n oder andere KI-Workflows ermöglichen es, Prozesse zu automatisieren, ohne Programmierer zu sein. Das senkt die Einstiegshürden dramatisch.

Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis?
Ein Spezialreiseveranstalter erstellt komplette Videokampagnen aus Textbeschreibungen – automatisiert und mit minimalem Budget. Ein kleines Team hat ohne externe Hilfe den gesamten Buchungs- und Kundenserviceprozess mit KI-Tools automatisiert. Das spart nicht nur Geld – es macht diese Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels überhaupt erst handlungsfähig.

Was müssen Unternehmen konkret tun?
Sie müssen sich ernsthaft mit ihren Prozessen auseinandersetzen. Wer KI einführt, ohne zu wissen, was er automatisieren will, wird scheitern. Wir brauchen keine weiteren Digitalisierungsprogramme von außen – wir brauchen Menschen in Unternehmen, die in Automatisierungsketten und Kontrollmechanismen denken können. Prozessdenken wird zur Schlüsselkompetenz.

Und die IT-Abteilung wird überflüssig?
Natürlich nicht. Aber die Abhängigkeit davon sinkt massiv. Man muss kein Entwickler sein, um KI sinnvoll einzusetzen – man muss nur wissen, wie man Prozesse strukturiert. Das ist eine neue Form der Eigenständigkeit für Fachabteilungen. Und ein riesiges Potenzial für kleine und mittlere Betriebe, die bisher im Digitalisierungsrennen kaum mithalten konnten.

Wo sehen Sie derzeit noch die größten Versäumnisse in der Branche?
In der Passivität. Wir beobachten zu viel, analysieren zu lange und starten zu spät. Genau wie damals bei der Digitalisierung. Nur dass diesmal das Tempo höher ist. Wer jetzt nicht mitgeht, wird dauerhaft zurückbleiben – wirtschaftlich, organisatorisch, strategisch.

Sie fordern auch Regeln für KI-Einsatz im Unternehmen. Warum?
Weil wir nicht einfach alles KI überlassen dürfen. Es braucht klare Grenzen: Was darf automatisiert werden – und vor allem was nicht? Welche Daten nutzen wir? Welche Entscheidungen überlassen wir Maschinen? Wer KI nur als Effizienzmaschine begreift, verkennt ihr disruptives Potenzial.

Sie haben kürzlich auch politische Forderungen formuliert. Was wünschen Sie sich konkret?
Wenn wir es schaffen würden, in Deutschland systematisch Programme aufzusetzen, die Mitarbeitenden den Einsatz von KI praxisnah beibringen – und zwar in allen Unternehmensbereichen – dann hätten wir einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil. Es geht nicht nur um Effizienz, sondern auch um digitale Mündigkeit.

Digitale Mündigkeit? Können Sie das näher erklären?
Wer KI selbst einsetzt, etwa für Text-to-Video oder Bilderstellung, entwickelt automatisch ein kritisches Bewusstsein. Man versteht, wie leicht sich Inhalte generieren – oder manipulieren – lassen. Genau diese gesunde Skepsis brauchen wir. Wer KI versteht, ist weniger anfällig für Desinformation – und kann auch Risiken besser einschätzen.

Was bedeutet das für bestehende Programme zur Digitalisierung?
Ich würde sagen: keine neuen Gießkannenprogramme. Stattdessen echte Kompetenzförderung in Sachen KI – niedrigschwellig, praxisorientiert, konkret. Unternehmen brauchen keine Hochglanz-Digitalisierungsstrategien. Sie brauchen Tools, Schulungen und Raum zum Ausprobieren. Nur so entsteht Souveränität im Umgang mit dieser Technologie.

Wie sehen Sie die Zukunft? Wird KI Jobs ersetzen?
Nicht ersetzen, sondern entlasten. Systeme werden Routineaufgaben übernehmen. Das schafft Raum für Kreativität, persönliche Beratung und echte Kundenbindung. KI ist kein Risiko – wenn wir sie als Werkzeug begreifen. Aber sie wird zum Risiko, wenn wir wieder nur zuschauen.

**
Zur Person
Michael Buller ist seit über 15 Jahren Vorstand des VIR (Verband Internet Reisevertrieb e.V.). Der Verband repräsentiert über 90 digitale Touristikunternehmen aus den Bereichen OTA, Veranstalter, Technologieanbieter und Start-ups. Buller gilt als einer der wichtigsten digitalen Vordenker der Branche.