Gebeco-Chef Michael Knapp

»Wir können den Schalter nicht einfach umlegen«

Michael Knapp im Interview über schnelle Reaktionen in der Pandemie, eine ruhige Hand und warum ein langer Atem nötig ist.

»Wir können den Schalter nicht einfach umlegen«
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Michael Knapp: »Wir wollen Verbindungen herstellen und suchen das Fremde in der Fremde. Wir wollen nicht das, was wir von hier kennen einfach übertragen.« Foto: Gebeco
Herr Knapp, die Buchungen ziehen an. Wie ist die Lage bei Gebeco?
Die letzten Monate waren schon ein Wechselbad der Gefühle. Aber wir haben mit unserem Team vorausschauend und flexibel geplant, um die Unklarheit und Unsicherheit beim Starten und wieder Zurückfahren für unsre Gäste so gering wie möglich zu halten. Alles bleibt dynamisch, und wir müssen uns permanent auf neue Herausforderungen einstellen.
 
Es wird jetzt deutlich besser, oder?
Ich glaube, jetzt sind wir an einem Punkt, der ermutigt so stark, dass wir uns trotz dieser Komplexität auf dem nachhaltigen Weg zum Besseren befinden. Es ist deutlich spürbar, dass die Impfkampagne und die Reduzierung der Inzidenzzahlen Hoffnung geben, so dass wir jetzt tatsächlich die Wiederbelebung des Marktes erleben. Unsere Zielgruppe ist weitgehend geimpft und will los.
 
Wie merken Sie das konkret?
Das spüren wir zum Beispiel in Gesprächen mit Kunden, aber auch mit unseren Vertriebspartnern. Die Anfragen über unsere Website und im Service-Center haben sich jetzt gewandelt. Das geht von Fragen zu Corona und zur Sicherheit hin zu konkreten Buchungswünschen und Reiseplanungen. Das ist inhaltlich eine ganz andere Qualität. Uns ist schon klar, dass die Welt nicht auf einen Schlag öffnet. Für uns Europäer hat sich zuerst Europa und vor allem der südliche Mittelmeerraum geöffnet. In die Ferne zu reisen, ist für uns dann der zweite Schritt, auf den wir unter Umständen noch viele Monate warten müssen.

Das ist doch schon sehr lang…
Ja, einige Länder haben verkündet, dass sie über die nächsten Monate keine Reisenden ins Land lassen werden. Andere Zielgebiete kämpfen wieder mit neuen Inzidenzwellen. Die Situation bleibt dynamisch. Aber die weltweit steigende Impfquote wird uns auf dem Weg zurück zu einem internationalen Tourismus helfen. Ebenso hilfreich wären international geltende Regeln zur Anerkennung von Impfnachweisen. Für viele Ferndestinationen erwarten wir einen nennenswerten Anstieg der Abreisen eher für Herbst und Winter 2022/23 und freuen uns, dass wir für diesen Zeitraum für die Ferne jetzt mehr Buchungen rein bekommen, wie zum Beispiel für Japan. Gleichzeitig waren und sind wir schon in der Ferne unterwegs, zum Beispiel in Uganda. Unsere Gäste haben sehr von dieser Reiseerfahrung geschwärmt.

In Europa gibt es aktuell viele Möglichkeiten zu verreisen, etwa nach Italien oder nach Griechenland.
In der Tat, die meisten Anfragen sind für Italien, Griechenland, Spanien, das Baltikum aber auch Schottland, Irland und Island. Wir haben in Europa viele Privatreisen neu aufgenommen, damit können Familien und Freunde sicher verreisen. Auch die Angebote für Aktivreisende, die gerne Wanderreisen oder auch Radreisen im Alpenraum machen, haben wir erweitert. Wir bieten keine Sun-and-Beach-Produkt an, sondern sind Spezialist für Gruppen-Studien- und Erlebnisreisen weltweit. Um der Nachfrage entgegenzukommen, haben wir aber unser picollo-Reiseangebot für Kleingruppen bis 16 Personen ausgebaut und garantieren viele Reisen schon ab vier Personen. Das schafft für unsere Gäste ein höheres Maß an Sicherheit bei der Buchung.
 
Sicherheit und Flexibilität sind sicherlich das Gebot der Stunde?
So ist es. Letztlich geht es immer wieder um die gleichen Kernpunkte. Einmal Flexibilität, also kann ich als Kunde etwas verändern, wenn sich in der Gemengelage etwas tut. Deswegen haben wir flexiblere Buchungsbedingungen eingeführt. Dazu beobachten wir alle Reisen im Wochenrhythmus, ob wir sie auch tatsächlich durchführen können. Das zweite Thema ist die Sicherheit: Wie sieht es mit den Tests aus? Was wird wo anerkannt? Wie ist die Einschätzung vom Auswärtigen Amt in Bezug auf Reisewarnungen, und wie sind die Quarantänebedingungen vor Ort und hier?

Also, ein erheblicher Aufwand bei der Beratung.
Ja, und wir müssen als Veranstalter sowohl für die Endkunden wie auch für die Reisebüros erreichbar sein. Wir haben während der Krise unsere Hotlines in definierten Zeiten immer offen gehalten und trotz Kurzarbeit so viel Kapazität gehabt, dass man Rückfragen bei uns stellen konnte.
 
Wie geht Gebeco mit den sogenannen 3-Gs um, also Reisen für Genesene, Geimpfte und Getestete?
Wir setzen alles um, was die Zielgebiete und Airlines vorschreiben. Wir wollen, dass sich sowohl unsere Reisenden sicher fühlen, als auch unsere Gastgeber vor Ort. Hier müssen wir nun Verantwortung übernehmen, auch jeder einzelne Reisende, gemeinsam für einen fairen Tourismus.
 
Trotz der steigenden Buchungen pendelt sich das Geschäft im Vergleich zu 2019 eher auf einem niedrigen Niveau ein, oder?
Ja, die Buchungszahlen steigen zwar kontinuierlich, aber es wird kein Volumen mehr werden. Wir merken deutlich, dass die Buchungen kurzfristiger als sonst reinkommen. Dennoch erwarten wir nicht, dass wir jetzt für den Winter, der sonst die klassische Zeit für Fernreisen ist, die in der Regel sechs bis neun Monate vorher gebucht werden, wahnsinnig viel Buchungen entgegennehmen werden. Hier wird sich eine deutliche Belebung der Buchungen für die Ferne eher auf das Frühjahr und den kommenden Sommer verschieben. Einzelne Ziele werden sich aber früher zurückmelden, zum Beispiel das südliche und nördliche Afrika, Israel, Usbekistan, Thailand aber auch das eine oder andere Land in Lateinamerika, wie Costa Rica. Das sieht  vielversprechend aus.

 
Macht Ihnen hier die schnelle Verbreitung der Delta-Variante Sorgen?
Nein, die Forscher und Mediziner sagen ja, dass die aktuellen Impfstoffe ausreichend schützen – auch bei der Delta-Variante. Und mit unserem erprobten Hygiene-Konzept in Ergänzung mit unserem Sorgenfrei-Paket sind unsere Gäste gut ausgerüstet. Dennoch bleibt es eine volatile und dynamische Marktentwicklung. Wir werden den Schalter nicht einfach umlegen, und alles ist so, wie in der Vergangenheit.

Das heißt, vielfach wird auf Sicht gefahren. Sie müssen Woche für Woche schauen, was geht und was nicht?
Ja, wir haben ein Verfahren etabliert, bei dem wir uns tatsächlich im Wochenrhythmus zusammensetzen und die Lage analysieren, uns über die rechtliche Situation austauschen und tatsächlich unsere Angebote anpassen. Wir entscheiden nicht jetzt über Reisen, die erst in Monaten stattfinden. Es geht eher darum, die Durchführbarkeit von Reisen zu monitoren, die in nächsten Wochen anstehen. Wir müssen ganz flexibel agieren.
 
Gebeco wirbt mit der authentischen Begegnung. Wie setzen Sie das in der Pandemiezeit um?
Wir richten uns immer nach den örtlichen Vorschriften. Und weiterhin spielen Maske und Abstand eine Rolle. Der Schlüssel zum Erfolg liegt aber bei unseren Reiseleitern vor Ort, weil sie die Situation am besten kennen und sich entsprechend der Gegebenheiten sicher durchs Land bewegen. Sie kennen auch die kulturellen Gepflogenheiten und können die Reisegruppe darauf einstellen.
 
Was heißt das in der Praxis?
Das bedeutet etwa, dass die Dinge nicht künstlich gestaltet werden. Das ist keine Show. Wir wollen nicht, dass jemand zurückkommt und sagt, ich habe ein Land wie auf einer Bühne kennengelernt. Die Reisenden erleben das Land, wie es zu dem Zeitpunkt auch ist und wie es den Menschen wirklich geht. Wir wollen Verbindungen herstellen zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen und Typen von Menschen. Ich will es anders ausdrücken: Wir suchen das Fremde in der Fremde und wollen nicht das, was wir von hier kennen, einfach übertragen.
 
Im besten Fall nehme ich also etwas mit, das über die reinen Erlebniswerte der Reise hinausgeht.
Genau, und wenn das gelingt, dann war das eine extrem authentische Reise. Man muss sich Venedig zur Zeit unseres Lockdowns vorstellen. Da erlebt man die Stadt, so wie man es vorher noch nie erlebt hat. In Namibia sind nur ganz wenige Gruppen unterwegs. Unsere Reisende erleben das Land von seiner »ehrlichen« Seite, also sehr ursprünglich. Und Urlauber, die ins Land kommen, sind besonders herzlich willkommen.
 
Für Veranstalter sind es unruhige Zeiten. Was ist beim Thema Führung gefragt?
Wir wissen, das ist eine brutal schwierige Phase, durch die ein Unternehmen mit allen Mitarbeitenden, Partnern und Kunden gehen muss. Und ich glaube, ein ruhiges Miteinander und ein klares Leiten ist elementar für die Mitarbeiter, Partner und Vertriebspartner. Wir wollen keine hektische und aufgeregte Betriebsamkeit, sondern agieren statt zu reagieren. Krisen wie diese müssen wir ruhig, klar, vorausschauend und professionell bewältigen. Resilientes Management ist gefragt basierend auf einer guten wirtschaftlichen Ausgangslage.
 
Ich danke fürs Gespräch.

Das Interview und mehr finden Sie auch im TRVL Counter WEEKLY Nr. 26