Mirko Jacubowski, Director Operations bei A3M

Die Gefahrensucher

Ein Gespräch mit Director Operations Mirko Jacubowski über Katastrophen, Covid-19-Gefahren und den Sinn der Reisehinweise.

Die Gefahrensucher
Foto: A3M
Herr Jacubowski, was macht ein Dienstleister, der sich in erster Linie um das Thema Sicherheit während der Reise kümmert, wenn es kaum noch Reisen gibt?
Er entwickelt sich weiter. Das war quasi die Geburtsstunde des Destination Managers (www.global-monitoring.com), denn der Bedarf an tagesaktuellen Infos ist enorm. Der Destination Manager fasst Bestimmungen zu Ein- und Ausreise zusammen und stellt Regeln vor Ort übersichtlich dar.

Zur Kernaufgabe von A3M gehört also, weltweite Ereignisse, die Auswirkungen auf Reiseverläufe haben können, zu georefenzieren, auf Karten darzustellen und Warnmeldungen an Reisende und Unternehmen zu versenden. Wie werden diese Daten eigentlich erhoben?
Wir verwenden für die Erstellung mehr als 500 Quellen, hauptsächlich offizielle Behördeninformationen der Länder und Regionen, also vom Auswärtigen Amt, vom Foreign Commonwealth and Development Office, von der US-Botschaft sowie von weiteren Medienquellen. Die Daten werden von einem Team aus zwölf Mitarbeitern an allen Tagen im Jahr erfasst und eingepflegt. So sind wir immer aktuell.

Sind da auch Nachrichtenagenturen und Meldungen direkt von der Bevölkerung dabei? Ja, sicher. Wir werten große Nachrichtenagenturen wie dpa und AFP genau aus wie auch soziale Medien – und hier speziell offizielle Regierungs- und Behördenaccounts, dazu die Posts wichtiger NGOs und Schlagzeilen von CNN oder der BBC auf Twitter. Wir sind ebenfalls eng vernetzt mit Behörden und wissenschaftlichen Instituten, zum Beispiel GEFON in Potsdam, das sich um das Thema Erdbeben kümmert, oder das National Hurrican Center in Miami. Mit Hilfe von Algorithmen durchsuchen wir Hunderttausende Online-Quellen nach relevanten Schlagworten und filtern so quasi vor.

Eine Menge Stoff. Wie prüfen Sie bei der Fülle an Infos, ob das wirklich stimmt, was da gesendet wird? Was wir finden, checken unsere Experten noch einmal gegen, um nicht irgendwelchen Fake-News aufzusitzen. In einem so sensiblen Bereich ist das extrem wichtig. So entsteht jeden Tag ein dynamisches Lagebild, das wir für unsere Partner aufbereiten und weitergeben, versehen mit konkreten Handlungsempfehlungen.

Das heißt, Sie bilden die Faktenlage ab, nicht die Hintergründe?
Könnte man so formulieren. Was wir nicht tun, sind Analysen zu liefern, warum etwas passiert. Unser Geschäft ist Tempo und Gefahrenabwehr, keine Interpretationen. Unser Anspruch ist es schon, die Informationen so genau wie möglich zu erfassen.

Wie nehmen Sie die Einordnung und Gruppierung der Länder in Sachen Corona vor? Das richtet sich alleine nach den entsprechenden Vorgaben der offiziellen Stellen, das heißt, ob ein Land eine Reisewarnung hat oder nicht, also ob das Auswärtige Amt hier die entsprechende Reisewarnungsstufe verhängt. Und das macht es ja in der Regel basierend auf den Inzidenz-Werten des Robert Koch-Instituts, die entsprechend ermittelt werden. Aber unser Anspruch ist es schon, dass wir die Informationen so genau wie möglich erfassen, damit Reisebüros, Reiseveranstalter, aber natürlich auch Endkunden diese Informationen vorliegen haben. Vielfach wird kritisiert, dass die offiziellen Hinweise des Auswärtigen Amts viel zu global und viel zu pauschal sind.


Die A3M-Redaktion im Einsatz

Wie sehen Sie das? Ich bin da durchaus auf Seiten der Veranstalter. Ich war ja selbst lange im Krisenmanagement bei Thomas Cook und kenne die operative Sicht. Aus meiner Sicht hätte das Auswärtige Amt an der einen oder anderen Stelle vielleicht kleinteiliger entscheiden sollen und vielleicht sogar hätte entscheiden müssen, wenn wir uns zum Beispiel die Kanaren anschauen. Hier sind die Regionen immer als eine Einheit betrachtet worden, was aus meiner Sicht dort, wo es sich um abgeschlossene Inseln handelt, nicht so wahnsinnig viel Sinn gemacht hat. Wir hatten zum Beispiel auch die Situation, dass Teneriffa ein Corona-Problem hatte, was dazu führte, dass die Inzidenz auf den Kanaren generell hoch gestuft wurde. Andere Inseln wie Lanzarote, Fuertaventura oder La Palma, die extrem niedrige Inzidenzen hatten, wurden damit in einen Topf geworfen.

Das ist schwer nachzuvollziehen? Klar, aber aus Sicht des Auswärtigen Amts ist das logisch, sie beobachten aus der Vogelperspektive. Natürlich aus der Perspektive der Reiseveranstalter macht das wenig Sinn und ist wenig hilfreich. Hier wäre aus meiner Sicht ein differenzierteres Vorgehen für die Branche wirklich sehr wünschenswert gewesen.

Aber genau dieses Anliegen wurde und wird immer wieder vorgetragen, also der Wunsch, die Reisehinweise granularer zu machen. Doch da bewegt sich seit einem Jahr gar nichts. Wie kommt das?
Ja, so sieht es aus. Aber ich mag nicht beurteilen, woher das kommt. Ich glaube, es ist schlichtweg einer enormen Komplexität geschuldet. Da läuft ein Prozess, der weltweit seitens des Auswärtigen Amts gemacht wird, und ich glaube, man hat schlichtweg interne Richtlinien, dass man zum Beispiel die nächste Verwaltungsebene unterhalb der staatlichen Gliederung anschaut. Und das sind ja nun mal in Spanien die Einzelregionen, die autonomen Region oder auch die Kanaren in Summe. Hier geht es dann nicht mehr um die einzelne Abstufung, die einzelne Insel. Das ist schade, muss ich ehrlich sagen!

„Das Auswärtige Amt besitzt schlichtweg die entsprechende Entscheidungshoheit“

Kann A3M in solchen Fällen nicht detaillierter werden?
Wir sind keine Korrekturfunktion für staatliche Vorgaben, definitiv nicht. Wenn wir eine Einstufung vornehmen, sind wir entsprechend auf das Auswärtige Amt angewiesen, weil die nun mal die maßgebliche Jurisdiktion beziehungsweise Richtlinien für Deutsche aussprechen. Selbst wenn wir bei irgendeinem Land sehen, dass es vielleicht anders wäre, würden wir das nicht machen können, weil hier schlichtweg das Auswärtige Amt die entsprechende Entscheidungshoheit besitzt. Dennoch sind Reisewarnungen keine Reiseverbote, und am Ende muss jeder für sich ein Stück weit Risikobewertung vornehmen.

Aus Sicht eines Gefahrenexperten, was brauchen die Reisebüros jetzt? Das, was die Reisebüros und alle Marktteilnehmer brauchen, ist Verlässlichkeit. Verlässlichkeit bei den Informationen, Verlässlichkeit in der Kundenkommunikation, sowie verlässliche Umbuchungs- und Stornoregeln. Das größte Problem derzeit ist die Unsicherheit: Ich weiß nicht, wohin ich reisen kann und unter welchen Bedingungen – auch nicht wann. Allein diese drei Faktoren führen dazu, dass die gesamte Branche am Boden liegt und darbt. Wir versuchen, zumindest bei dem Thema Verlässlichkeit zu helfen.

Aber reicht das? Was die Branche zusätzlich dringend braucht, ist ein Öffnungskonzept. Wann fallen die Reisewarnungen? Wann kann ich meine Reisebüros wieder aufmachen? Wenn die Branche überleben will, dann brauchen wir dringend eine Perspektive.


Der neue Reise-Manager von A3M

Zurück zur Praxis. Wie können Reisebüros die Lage in der Pandemie in ihrem Beratungsprozess integrieren?
Ich kann zum Beispiel mit der Karte im Destination Manager arbeiten und fragen, wie es in der Zielregion konkret aussieht. Die Infos kann ich mit den Kunden durchgehen und dann erklären, wie die Test-Vorgaben sind. Auch Detailfragen, zum Beispiel, ob die Außengastronomie geöffnet ist oder ob Museen und Sehenswürdigkeiten zugänglich sind, sind hier tagesaktuell aufgeführt.

Viele Kunden wollen das selbst überprüfen. Geht das auch? Die Informationen im System lassen sich aufbereiten. Das Reisebüro kann eine individuelle »Reise-Seite« für den Kunden erzeugen. Das heißt, der Kunde bekommt dann für sein Reiseziel und Reisedatum eine Art Mini-Webseite. Jedes Mal, wenn er auf diesen Link geht, sieht er die aktuelle Lage und weiß, was ihn vor Ort erwartet. Die Dienstleistung hebt die Kompetenz des Reisebüros hervor und stellt dem Kunden die Informationen proaktiv zur Verfügung.

Neu ist der „Reise-Manager“ (der-reisemanager.com) für Endkunden. Was ist das genau?
Durch die Corona-Pandemie wollen alle Kunden und Urlauber natürlich vor und nach der Buchung selbst wissen und recherchieren, welche Reisebestimmungen in den Ländern und Regionen gelten. Der Reise-Manager soll als Plattform Orientierung geben sowie eine aktuelle Übersicht der Ein- und Ausreise- sowie Impfbestimmungen bieten.

Beim Blick auf die Weltkarte, die Teil des neuen Reisemanagers ist, wird heute am 8. Mai 2021 sichtbar, dass fast alle Länder der Erde rot oder schwarz eingefärbt sind. Rot bedeutet, dass dort keine Einreise von Touristen möglich ist. Für die schwarz eingefärbten Staaten besteht eine Reisewarnung seitens des Auswärtigen Amts. In welche Länder sind Reisen überhaupt möglich?
Nur eine Handvoll Länder haben derzeit keine Reisewarnungen. Als Urlauber muss ich mir also sehr genau überlegen, wo welche Regeln gelten und wie lange. Die auf der Karte gelb hinterlegten Länder können aktuell bereist werden, wenn auch mit teils starken Einschränkungen, etwa die Dominikanische Republik, Island, Uganda oder Südkorea.

Das ist ganz schön wenig, oder?
Ja, die Welt ist momentan aus Reisesicht so klein, wie sie es seit Jahrzehnten nicht war. Immerhin wird es ja langsam wieder besser!

Danke fürs Gespräch!

Das Interview und mehr finden Sie auch im TRVL Counter WEEKLY Nr. 17



Über A3M: Mit Sitz in der Universitätsstadt Tübingen betreibt die A3M GmbH Frühwarn-, Informations- und Kommunikationssysteme für ein professionelles Krisenmanagement. Zu den weltweiten Krisenherden, die das Unternehmen beobachtet, zählen Naturkatastrophen wie Erdbeben, Hurrikans oder Brände, sowie politische Unruhen, Großdemonstrationen oder weitere Ereignisse und Zustände, die für Reisende zu einer Gefahr werden können. Im Zuge der Reiserestriktionen durch Corona hat das Unternehmen den »Destination Manager« für die Branche entwickelt. Er hilft Reiseverkäufern dabei, Kunden angesichts sich ständig wechselnder Richtlinien tagesaktuell zu beraten. Neu hinzugekommen ist »der Reise-Manager«, ein Info-Portal für Endkunden.

Zur Person: Mirko Jacubowski ist bei A3M für den Bereich Touristik und die Entwicklung neuer Produkte zuständig. Er war maßgeblich an der Entwicklung des A3M Destination Managers beteiligt, der der Reisebranche stetig aktualisierte Informationen zu Reisen in Zeiten von Covid-19 zur Verfügung stellt. Vor A3M war Mirko Jacubowski 17 Jahre bei Thomas Cook leitend tätig, unter anderem acht Jahre im Krisenmanagement und Krisenstab. Privat ist er ein begeisterter Rucksacktourist und Fan von Indien und Südostasien.