Bremerhaven

Besuchermagnet im Norden

Bremerhaven bekommt einen neuen Tourismuschef. Nachdem André Lomsky den Job aufgegeben hatte, tritt nun Michael Gerber an. Der Marketingexperte kennt die Hafenstadt gut, weil er bis 2019 mehr als 20 Jahre das Stadtmarketing verantwortete. Was kann Bremerhaven touristisch bieten?

Besuchermagnet im Norden
Beginnen wir mit einer kleinen Bestandsaufnahme. Das Image der Hafenstadt im Norden könnte besser sein. Nicht umsonst werden bestimmte Stadtviertel in Fernsehproduktionen gerne als sozialschwache Brennpunkte dargestellt. Andere behaupten schlichtweg, Bremerhaven würde stets im Schatten der Hansestadt Bremen stehen, das Schmuddelimage wird die Hafenstadt einfach nicht los. Auf Websites lästern Nutzer darüber, dass „es auch schönere Städte gibt“.
 
Das ist natürlich ein Totschlagargument, denn bekanntlich ist es irgendwo anders immer schöner, und vieles ist eben auch Geschmackssache. Deutschlandweit ist Bremerhaven für das Klimahaus, die Geschichte der Seefahrt und den weitlaüfigen und wirtschaftlich wichtigen Containerhafen bekannt. Doch welche Themen und Attraktionen gibt es zusätzlich, womit die Stadt an der Weser bei Besuchern und Touristen punkten könnte?


 
  1. Die Traditionsreiche Geschichte der Seefahrt
Bremerhafen blickt auf eine lange und traditionsreiche Geschichte in der Seefahrt zurück. Seit Jahrhunderten war sie Dreh- und Angelpunkt großer Schiffsreisen und Expeditionen. Mit ihrer Lage an der Mündung der Weser mit direktem Zugang zur Nordsee ist das nicht verwunderlich. Anfangs spielte die Fischerei eine große Rolle für die kleine Siedlung, im 19. Jahrhundert etablierte sich hier der größte Auswandererhafen Kontinentaleuropas. Tausende Menschen verließen einst Europa und suchten ihr Glück in die neue Welt, vor allem in den USA.
 
Und heute? Besucher können die Geschichte und Sitten der Fischer und Seeleute auf der maritimen Meile erleben, dem Schaufenster des Fischereihafens. Besonders erwähnenswert: Im Auswandererhaus sind die Thema Migration und Auswanderung gut dokumentiert. Heute legen Urlauber und Gäste zu Fahrten auf Kreuzfahrtschiffen von AIDA, TUI Cruises und Co ab.
 
Am modernen Containerhafen werden täglich zehntausende PKW verladen und in alle Welt verschifft. Die beeindruckende Logistik im Terminal können Besucher auf einer Tour mit dem HafenBus erleben.

  
  1. Bildungstourismus fördern
Bremerhaven bildete in den letzten Jahren den Ausgangspunkt für zahlreiche Arktis-Expeditionen. Die MOSAiC-Expedition gilt dabei als größte ihrer Art in der Neuzeit. Ihren Anfang als Ausgangpunkt für Forschungs und Wissenschaftsreisen nahm die Stadt unter Leitung des ansässigen Alfred-Wegener-Instituts.
 
Die weltberühmte Forschungseinrichtung punktet mit weiteren Wissenschaftseinrichtungen, etwa das Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen, die Hochschule Bremerhaven, das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme oder das Thünen-Institut für Seefischerei und für Fischereiökologie. „Man könnte die einzigartige, wissenschaftliche Bandbreite stärker in den touristischen Angeboten abbilden“, sagt Jens Rillke, der die sich als Quartiersmeister für die Weiterentwicklung seines Stadtteils engagiert. Klug umgesetzt, kann Wissenschaft ein Magnet für Besucher werden, wie sich aktuell am Beispiel Klimahaus zeigt.

 
  1. Umweltbildung mit und durch das Klimahaus
Das Klimahaus ist Bremerhavens bekanntestes Wissenschaftshaus. Hier können Besucher entlang des achten Längengrades auf eine virtuelle Weltreise gehen und unterschiedliche Klimazonen der Erde entdecken und erleben. Multimedial begleitet werden die Besucher von Axel Werner, der diese ungewöhnliche Reise tatsächlich vor gut 16 Jahren persönlich unternahm. Der Wissenschaftler und Forscher Werner bemerkte schmelzendes Gletschereis in der Schweiz und durchlitt lange Trockenperioden im Niger am eigenen Leib. Er erlebte, wie in Kamerun Regenwald abgeholzt wurde, genauso wie Tropenstürme in der Südsee wüten können.
 
Nicht nur der klimawandel ist ein hocaktuelles Thema: In weiteren Ausstellungen wie „Perspektiven“ oder „Mehr als Wetter“ können Gäste zum Beispiel erfahren, wie der Mensch den Planeten Erde verändert. Auf diese Weise kombiniert das Klimahaus eine Weltreise über 40.000 Kilometer mit einer fundierten Umweltbildung für alle Besucher der Hafenstadt.

 
  1. Die Bremerhavener selbst ansprechen
Tourismusverantwortliche schielen allzuoft auf Besucher und Gäste von Außen. Doch auch die Menschen in Bremerhaven selbst, freuen sich über ein reichhaltiges kulturelles und geschichtliches Angebot. Themen rund um die Meere, Klima, Flucht und Auswanderung sind auch für die Bürger selbst interessant.
 
Im Zuge dessen sollten auch das Zentrum mit den einzelnen Stadtvierteln besser angebunden werden. Touristenströme gibt es aktuell zwischen Altem und Neuen Hafen. Hier wurde mit hohen Investitionen saniert, ein Einkaufszentrum, das schöne Atlantic Hotel Sail City und eben das neue Klimahaus erbaut. Besucher spazieren um die Häfen, besuchen die Museen und genießen die frische Seeluft samt Fischbrötchen am Deich. In die geografische Stadtmitte tasten sie sich kaum vor. Am Abend werden die Bürgersteige am Hafen sprichwörtlich hochgeklappt. Wer also mehr erleben will, muss sich ins Zentrum hineinwagen, zum Beispiel in die Bürgermeister-Smidt-Straße.
  1. Nachhaltige, Bürgerprojekte fördern
Der Weg in die Bürgermeister-Smidt-Straße lohnt sich zum Beispiel, weil sich hier auch der Verein „Alte Bürger“ engagiert. Zusammen mit Menschen des Quartiers wurden hier schon viele Ideen umgesetzt, die spannende Nachhaltigkeitspotentiale weit über Bremerhaven hinaus bergen. „Es gibt jeden zweiten Samstag im Monat ein Repaircafé, in dem man zusammen mit Ehrenamtlichen seine alten Elektrogeräte reparieren kann“, erzählt Quartiermeister Jens Rillke. Reparieren statt Wegwerfen lautet hier die Devise.
 
Außerdem gibt es autofreie Tage, die dann für Gastro-Events oder Flohmärkte genutzt werden. Im so genannten Unverpackt-Laden können frische Backwaren und unverpackte Lebensmittel gekauft werden. Die Betreiber haben Anfang 2024 auch ihr veganes Restaurant Findus wieder eröffnet.
Kurzum: Die ehemalige Kneipenmeile mit schäbigem Image soll zur Klimameile werden. Die Anwohner befürworten das. „Rund 83 Prozent sind für Straßensperrungen am Wochenende, 64 Prozent wollen Parkflächen dauerhaft für die Gastronomie nutzen“, so Rillke.
 
In den nächsten Jahren soll die Klimameile weiterentwickelt werden. Vielleicht wird sie sogar ein Vorbild für nachhaltiges urbanes Leben in ganz Deutschland? Auf jeden Fall gibt es viele spannende touristische und nachhaltige Ansätze für Bremerhaven.
  
 
/// Leuchturmprojekt ///
Dass es in Sachen Nachhaltigkeit gut voran geht, beweist der Bundeswettbewerb Nachhaltiger Tourismus. Bremerhaven belegte dort im letzten Jahr in der Kategorie „Starter“ den 3. Platz. Vor allem in Sachen Barrierefreiheit hat die Hafenstadt gepunktet. Die Verantwortlichen nutzen die Teilnahme vor allem für eine Bestandsaufnahme. In Zukunft will die Stadt das Thema strategisch angehen und sich als nachhaltige Urlaubsdestination positionieren.
  
 Info zum Autor: Steven Hille lebt in Berlin, liebt die Natur, spontane Ideen und ist gerne in Deutschland unterwegs. Auf seinem Blog Funkloch berichtet er von möglichst nachhaltigen Abenteuern aus nah und fern.