Petra Thomas, Forum Anders Reisen

„Die Branche muss mehr Verantwortung zeigen!“

Petra Thomas, Geschäftsführerin Forum Anders Reisen, fordert eine neue Ehrlichkeit und dass wir endlich mehr handeln.

„Die Branche muss mehr Verantwortung zeigen!“
Foto: Forum Anders Reisen
Frau Thomas, dürfen wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe überhaupt noch reisen und Urlaub machen?
Wir dürfen nicht nur, wir sollten sogar. Der Zusammenhalt der Welt, und das sieht man ja gerade im Moment, ist unheimlich wichtig. Und das Reisen bringt uns zusammen und schafft für viele Menschen notwendige Arbeitsplätze. Umso mehr, weil wir in den letzten zwei Jahren der Pandemie gesehen haben, wie vieles zusammengebrochen ist und Menschen überall ihre Existenzgrundlage verloren haben. Von daher: unbedingt reisen! Aber es geht auch darum, wie oft wir reisen, wie viel und wohin wir tatsächlich unser Geld bringen. Ich würde niemals die Klimakrise gegen andere Krisen ausspielen. Es geht hier um ein Abwägen und Maß halten.

Maßhalten klingt nach Verzicht und nach der Frage: Wie sollen wir künftig reisen. Gibt es da Ideen?
Wir wissen, das meiste CO2 wird bei Flugreisen ausgestoßen. Das heißt, überall da, wo es Alternativen zur Fluganreise gibt, sollten wir sie unbedingt nutzen. Also schauen, wo es schon tolle Bahnverbindungen gibt, mehr über Nachtzüge buchen. Kurz gesagt: überall, wo es machbar ist, auf Flüge verzichten. Wenn es keine Alternative zum Flug gibt, dann schauen, wie man Urlaubstage bündelt. Anstatt kurz übers Wochenende irgendwo schnell hinzufahren oder vier, fünf Tage nach Palma zu fliegen, lieber zwei oder drei Wochen am Stück Urlaub machen. Das ist für die eigene Erholung besser, und man fliegt eben nur einmal.

Bei der Jahrestagung in Griechenland hat der Deutsche Reiseverband erstmals das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz weit oben auf die Agenda gesetzt. War das ein richtiges Signal oder zu spät?
Das forum anders reisen beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema. Es ist nicht wirklich ein neues Thema für uns und hätte viel eher auf der Agenda stehen sollen. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass die Branche endlich über den Klimawandel spricht. Denn vor Jahren wurde das Thema überhaupt nicht angepackt, und es gab keinerlei Statements und kaum Lösungsansätze dazu. Jetzt bewegt sich etwas, und es besteht große Dringlichkeit, Dinge zu verändern.

Was wären die ersten Schritte?
Ein erster Schritt ist tatsächlich eine neue Ehrlichkeit: Wir müssen CO2in allen Reisen ausweisen. Wir machen das seit 2003. Das heißt, bei jeder Flugreise werden die Emissionen sichtbar benannt, damit der Gast informiert ist. Das Zweite ist zu überlegen, wie wir Emissionen vermeiden können. Was müssen wir im Tourismus verändern und wie können wir künftig andere Reiseformen und Produkte bewerben? Wir zerstören viele Regionen durch unsere jetzige Art des Reisens. Wir müssen also sehr viel stärker darauf schauen, wie wir eine positive Wirkung erzielen, wie wir mit dem Tourismus dazu beitragen, dass Lebensräume besser werden. Das andere Thema habe ich eben schon benannt: Das ist das Thema Anreise. Hier gilt es, Alternativen zu fördern und anzubieten. Wir können schlichtweg nicht darauf warten, dass Flüge irgendwann klimafreundlicher werden, weil eine neue Technologie entwickelt wurde. Wir müssen heute darüber nachdenken und mit dem ehrlichen Dreiklang vorangehen, also vermeiden, reduzieren und ernsthaft kompensieren.

Die Branche sollte also ganz konkret die Kompensation in den Reisepreis einbinden und nicht auf eine Freiwilligkeit des Kunden setzen?
Genau, auch wenn man das nicht alles gleich von Null auf Hundert machen muss. Das kann ruhig in Schritten erfolgen. Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal, wenn die Branche anfängt, Kompensation als Teil der Reiseleistung zu sehen, wie eine Art Versicherung, die dabei ist. Ich vergleiche das gerne mit einer Kurtaxe, die am Strand gezahlt werden muss, damit der Strand sauber gehalten wird. Und das Gleiche könnte man für die Luft einpreisen, eine Art Kurtaxe für die Luft.

Zumal viele Studien gezeigt haben, dass die freiwillige Leistung der Kunden nicht wirklich funktioniert. Über viele Jahre haben Veranstalter das versucht und sind kaum über fünf Prozent gekommen…
Das ist tatsächlich so. Es gibt wenige Reiseveranstalter, die bei diesem Thema eine gute Kommunikation vorgelegt haben. Aber auch bei bester Kommunikation ist der überwiegende Teil der Urlauber nicht bereit, darauf einzugehen. Daher ist es wirklich notwendig, eine Kehrtwende zu machen und das jetzt von uns aus aktiv anzugehen. Das wird auch dazu führen, dass qualitatives Reisen stärker wertgeschätzt wird und Reisende bereit sind, für den Klimaschutz einen Beitrag zu leisten.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass es schwierig ist, nachhaltige Angebote und ein faires System für die Kennzeichnung zu finden.
Das ist richtig und liegt ein wenig daran, dass die meisten nachhaltigen Anbieter und kleine Veranstalter in den Systemen nicht auftauchen. Viele Angebote liegen außerhalb der GDS. Andererseits gibt es beispielsweise für eine pauschale Rundreise, die aus vielen Bestandteilen besteht, bislang keine übergreifende Kennzeichnung.

Ihr Projekt mit der Leuphana Universität in dieser Richtung läuft ja schon seit mindestens zwei Jahren. Scheint kompliziert zu sein?
Es ist ein komplexes Verfahren, weil man eben nicht einfach nur CO2 messen sollte. Man muss sehr viel tiefer gehen: Wer organisiert was? Wo landet das Geld? Wie werden die Menschen dort beschäftigt? Welche Auswirkungen hat das kulturell oder beim Naturschutz? Das ist aufwendig, aber da sind wir dran, und ein Lösungsansatz ist absehbar.

Es gibt Fortschritte, und wir kommen vom Reden ins Umsetzen?
Ja, die Kennzeichnung ist nur ein erster Schritt, um die Angebote, die nachhaltig gestaltet sind, sichtbarer zu machen. Damit geben wir dem Reisegast eine Orientierung. Danach geht es darum, die Produkte so umzugestalten, dass sie kennzeichnungsfähig sind. Ich sehe hier die Verantwortung beim Anbieter, nicht bei den Kundinnen und Kunden. Wir müssen jetzt auch einen Schlag zulegen.

PETRA THOMAS ist Geschäftsführerin des forum anders reisen e.V., ein Dachverband für nachhaltigen Tourismus. Der 1998 gegründete Verband mit rund 140 Mitgliedsunternehmen engagiert sich für die Entwicklung und Verbreitung eines auf inhaltlichen Kriterien basierenden nachhaltigen Tourismus, der sich an den Menschen und der Umwelt orientiert. Die studierte Archäologin und Kunsthistorikerin vertritt als Vorstandsvorsitzende die Interessen des forum anders reisen seit 2010. Zugleich engagiert sie sich im Vorstand der Brancheninitiative Human Rights in Tourism e.V.