Mohamed Moez Belhassine, Tourismusminister Tunesien

"Unser Kulturerbe sichtbar machen"

Der neue tunesische Tourismusministerüber die Lage im Land, wie die Regierung dem Reisesektor hilft und warum Nischenangebote förderwürdig sind.

"Unser Kulturerbe sichtbar machen"
Foto: FVA Tunesien
Interview Thomas Grether

Die Pandemie hat die touristische Welt hart getroffen. Wie sieht die Lage im Urlaubsland Tunesien aus?
Anders als frühere Krisen hat Covid-19 kein Land auf der Welt verschont. Auch bei uns sah es 2020 bitter aus: Wir mussten einen Rückgang der touristischen Einreisen von 78 Prozent hinnehmen. 2021 konnte der Reisesektor in der Zeit von Januar bis Oktober einen leichten Aufschwung von 7,2 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum 2020 verzeichnen. Dazu ist zu bemerken, dass unsere Bürger gerne Urlaub im eigenen Land machen. Das heißt, der Inlandstourismus hat die touristischen Saisons 2020 und 2021 gerettet. Was aktuell wichtig ist: Seit vorgestern, dem 27. Januar, kommen Gäste auch ohne PCR-Test ins Land – ein offizieller Schnelltest genügt. Und natürlich muss man geimpft sein.

Das hört sich gut an. Wie sieht die Prognose für 2022 aus, was internationale Gäste – und vor allem deutsche Touristen – betrifft?
Es ist noch zu früh, um eine Zahl für 2022 anzugeben. Vieles deutet darauf hin, dass die deutschen Urlauber die verlorene Urlaubszeit der vergangenen zwei Jahre aufholen wollen. Tendenziell sehen wir in allen Märkten mehr kurzfristige Buchungen. Deswegen sind wir überzeugt, dass es nach dem ersten Quartal 2022 verstärkt Reservierungen für die Sommersaison 2022 geben wird. Wir gehen davon aus, dass wir aus Deutschland rund 50 Prozent der Einreisen von 2019 erreichen werden, das sind etwa 140.000 Gäste.

Wie wollen Sie den Tourismus wieder auf die Beine stellen?
Seit Beginn der Krise 2020 hat Tunesien frühzeitig ein Hygienekonzept erarbeitet. Wir verlangen eine strikte Einhaltung der Hygiene-Standards in Hotels, an Flughäfen, in Restaurants und bei Bustransfers. Zudem haben wir mit einer nationalen Impfkampagne begonnen, die sehr gute Fortschritte macht. Wir sind stolz darauf, dass Mitarbeiter im Tourismussektor zu fast 100 Prozent geimpft sind.

Welchen Weg geht Tunesien bei der Vermarktung?
Wir verstärken verschiedene Maßnahmen mit den Veranstaltern und den Reisebüros und wollen das Land in den Fokus rücken. Dazu gehört auch eine internationale Werbekampagne, und wir intensivieren unsere Kommunikation mit den Medien. Wir wollen klar machen, dass unser Hy-giene-Konzept einen sicheren Urlaub in Tunesien gewährleistet. Zudem organisieren wir große Events, die uns internationale Aufmerksamkeit bringen. So ist beispielsweise wieder eine Fashion Week in der Oase Tozeur oder der Wüsten-Lauf Ultra Mirage geplant.


Fashion Week in Touzeur

Wie hilft der tunesische Staat seinen Hoteliers und anderen touristischen Unternehmen?
Bereits seit der ersten Covid-19-Welle unterstützen wir sie mit vielen sozialen und wirtschaftlichen Hilfen. Als soziale Hilfsleistung hat die Regierung zum Beispiel den Arbeitgeberbeitrag der Sozialversicherungszahlungen für das vierte Quartal 2020 und für die ersten beiden Quartale 2021 übernommen. Angestellte, die in Kurzarbeit sind, können auch an einem speziellen Trainee-Programm teilnehmen, das vom tunesischen Tourismusministerium und der tunesischen Agentur für Tourismusjobs organisiert wird. Touristische Arbeitgeber, die mit Zahlungen an die gesetzliche Sozial- und Krankenversicherung in Rückstand geraten, müssen keine Strafe befürchten, sofern sie den überwiegenden Teil ihrer Schulden begleichen. Wer also beginnt, seine Schulden zu begleichen, wird gerichtlich nicht belangt. Zusätzlich helfen wir mit einer vorübergehenden Steuerbefreiung. Wenn touristische Unternehmen oder solche aus dem Kunsthandwerk Bankkredite benötigen, unterstützen wir sie bei der Beantragung und bürgen auch bei der Ausweitung des Kreditrahmens.

Sie sind mit deutschen Veranstaltern in Kontakt. Was sind die Themen, die besprochen werden?
Wir pflegen den Austausch mit allen deutschen Veranstaltern, derzeit häufig in Online-Meetings. Thematisch geht es darin vornehmlich um die Covid-Lage, die Einreisebedingungen, die Flugsituation, den Restart und Kooperationsideen.

Die Organisation von internationalen Events wie die Fashion Week Tunis in Tozeur beeindrucken die Welt und sind ein Beleg für das wirtschaftliche und kulturelle Potenzial des Landes. Aber wie kann der Massentourismus davon profitieren?
Mit solchen Großevents verbessern wir das Image Tunesiens. Dank der Berichterstattung über die Fashion Week in den internationalen Mode-Zeitschriften erreichen wir viele Entscheidungsträger auch in Deutschland. Auch Manager, die in der Kongress- und Eventbranche (MICE) arbeiten, werden so auf uns aufmerksam. Wir setzen also auf die starke Zugkraft dieser Events.

Dennoch gilt Tunesien für viele deutsche Urlauber immer noch als günstiges Badereiseziel. Was machen Sie, um vom Billig-Image wegzukommen?
Wir wissen zum Beispiel, dass Reisebüros einen großen Einfluss auf das Buchungsverhalten der Kunden haben. Deswegen arbeiten wir eng mit deutschen Reiseveranstaltern zusammen, damit sie mit unserer Unterstützung Info-Reisen für Expedienten anbieten können. Tunesien hat lange Zeit nur auf den Badetourismus gesetzt. Jetzt wollen wir zusätzlich den Alternativtourismus stärken. Hier beobachten wir eine große Nachfrage bei den Urlaubern.

Könnten Sie das bitte genauer ausführen? Wie sieht diese Nachfrage konkret aus?
Immer mehr Urlauber suchen zum Beispiel kleinere Landgasthäuser und exquisite, landestypische Unterkünfte. Es gibt auch neue Urlaubserlebnisse, etwa die kürzlich eingeweihte 192 Kilometer lange Wanderstrecke im Dahar-Gebirge. Wanderfreunde können sich über faszinierende Landschaften in der südöstlichen Region des Landes freuen. Das sind zwar Nischenprodukte, aber damit schaffen wir Arbeitsplätze in der Region. Und diese Projekte sind nicht saisonabhängig, sie laufen ganzjährig. Dennoch bleibt unsere Strategie bestehen, die Vielfalt im Land zu vermitteln. Natürlich vergessen wir den Bade-Tourismus nicht, setzen aber darauf, unsere Traditionen und unser Kulturerbe sichtbarer zu machen. Unsere Medinas sind weltweit einzigartig. Wir haben fantastische Landschaften und eine über 3000 Jahre alte Kultur. In Tunesien gibt es gleich sieben Orte, die als UNESCO-Weltkulturerbe gelten. Hier befindet sich die Wiege Karthagos und die Heimat Hannibals.

Zurück zur Moderne: Tunesien plagt sich mit einem dramatischen Umweltproblem. Milliarden weggeworfene Plastikflaschen verschandeln das Land. Wie gehen Sie hier vor?
Uns ist natürlich bewusst, dass die Umwelt wesentlich zur Attraktivität der Destination beiträgt. Im Rahmen des touristischen Restart-Programms wurde daher ein Ausschuss »Sauberkeit und Verbesserung der Umwelt« gebildet. Dessen Teilnehmer sind Ministerialbeamte, Stadtverwaltungsangestellte wie auch Touristik-Profis. Sie erstellen Aktionspläne und kümmern sich darum, dass Strände, touristischen Orte, historische Monumente, Parkanlagen und Gärten umfassend gesäubert werden. Bereits 2021 gab es erste große Umwelt-Aktionen. Die größte Herausforderung ist, dass diese Aktionen rund um die Uhr laufen. Wir müssen 365 Tage im Jahr für Ordnung sorgen.

Eine weitere Herausforderung ist die Arbeitslosenquote, die landesweit bei 17 Prozent liegt. In einigen Regionen beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 40 Prozent. Gibt es Ausbildungsprogramme für junge Leute und die Möglichkeit, neue Jobs im Tourismus zu schaffen?
Die Entwicklung des »Alternativtourismus« ist ein Jobmotor gerade für junge Leute. Eine staatliche Agentur kümmert sich um die Ausbildung im Tourismussektor in acht Hotelschulen, die es in den verschiedenen Regionen des Landes gibt. Die Agentur hat übrigens ein Rahmenabkommen mit der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) abgeschlossen, um Beschäftigte des Tourismussektors weiterzubilden, die gerade in Kurzarbeit sind. Das Abkommen hilft also, tunesische Touristiker im Land zu unterstützen.


Info zur Person Mohamed Moez Belhassine, Tourismusminister Tunesien: Im Oktober 2021 wurde Mohamed Moez Belhassine Tourismusminister in Tunesien. Davor arbeitete der 44-Jährige als Generaldirektor des Fremdenverkehrsamtes Tunesien (Office National du Tourisme Tunisien, ONTT). Von Juni 2017 bis Januar 2021 war er Vorstandsvorsitzender der Société des Loisirs Touristiques (SLT), einem staatlichen Unternehmen, das unter der Schirmherrschaft des tunesischen Ministeriums für Tourismus und Kunsthandwerk steht. Belhassine machte 2008 seinen Master in Wirtschaftsanalyse und Internationale Entwicklung an der Universität Auvergne Clermont-Ferrand in Frankreich. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.