Herr Glade, selbst, wenn es immer heißt, wegen der HEPA-Filter sei die Luft so gut wie im Operationssaal, so hat man doch als Passagier ein ungutes Gefühl.
Verständlich, aber rein psychologisch. Daher bieten wir mittlerweile an, dass man bei uns den freien Mittelplatz dazubuchen kann. Aber das hat anfangs für Kritik gesorgt, weil die Leute dachten, wir wollten mit der Gesundheit Geld verdienen.
Wie ist nun die Lage derzeit bei SunExpress?
Es ist unglaublich anstrengend, was gerade passiert. Die Marktgegebenheiten ändern sich teilweise im Wochenrhythmus fundamental. Das betrifft neue Reisebeschränkungen oder neue Regularien. Aktuell haben die Niederländer die Einreise aus der Türkei innerhalb der letzten zwei Tage wieder geändert.
Das macht es ganz schön schwierig ordentlich zu planen, oder?
Ja, und es trifft uns als sehr planungsgetriebene Branche besonders. Üblich ist, dass Assets gekauft werden, die am besten von Tag eins an für die nächsten zehn Jahre sauber verplant werden. Seit Jahren galt die Devise: Wer die beste Planung hatte, war hinterher auch die anerfolgreichste Airline. Wir als SunExpress sind zum Glück anders unterwegs als die Meisten. Vor 30 Jahren wurden wir als „Bedarfsfluggesellschaft“ gegründet. Und dieser Spirit der Bedarfsfluggesellschaft ist noch vorhanden. Wir fliegen also nur dahin, wo unsere Kunden auch hin wollen. Das hilft uns gerade in der Krise. Um ein Bild zu nutzen: Wir sind keine Straßenbahn, wir sind eher ein Uber.
Aber die vielen Strukturen am Flughafen, das Thema Slots oder auch ein am Revenue orientiertes Managementsystem, das ist alles gerade nicht auf Flexibilität aufgebaut. Wie funktioniert das?
Da mussten wir viel dazulernen, schneller und wendiger werden. In diesem Jahr sind wir zum Beispiel viel digitaler geworden. Was mir auch auffällt: Wir sind viel enger zusammengewachsen und haben noch mehr kommuniziert. SunExpress ist ein Unternehmen, das ohnehin sehr eng am Kunden arbeitet. Das Revenue-Management-Team und unsere Dispo telefonieren täglich quasi rund um die Uhr mit den Kunden, den Reiseveranstaltern. Mein Vertriebsteam ist eng an den Veranstaltern dran, und das hilft natürlich. Das hat uns jetzt geholfen, dass wir selbst in den Zeiten, in denen die Flugpläne wackelig wurden, eine der wenigen Airlines waren, die ihnen nicht vor den Kopf gestoßen haben.
Dennoch war die SunExpress-Schließung in Deutschland in diesem Jahr ein Paukenschlag.
Ja, das war kommerziell wirklich bitter. Und auch da zeigt sich wieder die Nähe zum Markt. Unsere Kunden haben verstanden, warum unsere Shareholder das so entschieden haben und was das heißt. Und wir sehen, dass das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der SunExpress als deutsch-türkisches Unternehmen in keiner Weise beschädigt wurde. Wir arbeiten da weiterhin eng und vertrauensvoll zusammen.
Ohne Reisebeschränkung nimmt der Bedarf sofort zu
Der Hauptmarkt ist derzeit innerhalb der Türkei. Wie sieht es da aus?
Wir fliegen schon fast wieder mit 80 Prozent unserer Kapazität gegenüber dem Vorjahr. Unsere Basen sind Antalya und Izmir. Der Bereich, der am stärksten betroffen war, ist natürlich der touristische Sektor. Dennoch: Am Beispiel der Schweiz haben wir sehen können, dass in der Sekunde, in der die Reisebeschränkungen aufgehoben werden, wir schon wieder zwei bis dreimal am Tag von Zürich nach Antalya fliegen konnten. Und wir haben neue Flüge von Basel aus aufgelegt. Das heißt, der Markt war blitzschnell wieder da.
Es gab ja allerhand Unsicherheiten bei den Urlaubern?
Ja, leider, die Reisenden sind stark verunsichert, weil immer etwas an deres kommuniziert wird. Klar, dass es da eine Buchungszurückhaltung gibt. Das muss 2021 besser werden.
Der türkische Markt wird als erster wieder da sein, davon sind wir überzeugt
Sie haben sich gegen eine Flottenverkleinerung entschieden. Warum?
Wir glauben daran, dass in der Sekunde, in der es wieder möglich ist zu reisen, der türkische Markt einer der allerersten ist, der wieder zurückkommen wird. Für den weiter bestehenden Teil der SunExpress versuchen wir, das komplette Team an Bord zu halten. Und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich in einer Art und Weise solidarisch gezeigt, was das Thema Gehaltsverzicht und Arbeitszeit angeht, wie ich es noch nie erlebt habe.
Konnten Sie den Betrieb ohne riesigen Versluste überhaupt durchführen?
Ich glaube, uns ist es als einer der wenigen Airlines gelungen, keinen Flug durchzuführen, der nicht zumindest die direkten operativen Kosten und die Gehälter der eingesetzten Crews plus Trainingskosten eingebracht hat. Die endgültigen Geschäftszahlen gibt es erst zum Jahresende. Aber was ich schon sagen kann: Wir sind gut aufgestellt.
Sie können gerne etwas mehr andeuten….
Dass der der Umsatz nicht so ist, wie er in 2019 oder in einem anderen, guten Jahr war, ist allen so weit klar. Aber der Einbruch, den wir gehabt haben, der ist deutlich geringer ausgefallen als bei großen Carriern.
Es wird kalt und bitter im Frühjahr, machen wir uns da nichts vor
Wie schätzen Sie die Entwicklung in 2021 ein?Das erste Quartal wird kalt und bitter. Interessant werden die Osterferien werden, und da arbeiten wir unter Hochdruck und eng mit Regierungskontakten auf beiden Seiten daran, dass zu Ostern Reisen in die Türkei möglich sein werden.
Und im Sommer?Man kann sich durchaus optimistischere Szenarien ausdenken. Ich sehe zum Beispiel keinen Grund, warum die Sommerferien nicht gut laufen sollten. Wahrscheinlich wird es kein Rekordjahr werden, aber es könnte ein gutes Jahr werden. Und wenn dann die Routine zurückkehrt und die Leute im Sommer gemerkt haben, Reisen ist wieder möglich, dann ist mir auch um die Herbstferien nicht bange. Dann werden wir sicher auch wieder Sportgruppen wie Golfer und Tennisspieler im Winter haben.
Sie haben in den Reisebüros einen Guten Ruf. Hoffentlich bleibt es so?Das ist uns wichtig und wir tun alles, damit SunExpress ein verlässlicher Partner bleibt. Wir versprechen, es wird keine billigeren Tarife als im Reisebüro geben. Jede Aktion, die wir über unsere Kanäle fahren, gibt es auch im Reisebüro. Und in 2021 haben wir eine attraktive Incentive-Staffel in den Markt gegeben und den Corona-Umständen angepasst. Für 2020 haben wir alles zurückbezahlt und unsere Reisebüropartner nicht hängen lassen. Sowohl der Vertrieb wie auch die Callcenter waren immer erreichbar.
Was ist Ihr persönliches Resümee zum Jahr?Mein Resümee beginnt erst einmal mit einem großen Stoßseufzer. Es war unglaublich anstrengend. Es war unglaublich bereichernd. Und ich habe die ganz große Hoffnung, dass wir viel von dem Guten, das sich trotz allem entwickelt hat, auch ins neue Jahr mitnehmen können. Ich finde es faszinierend, dass der Impfstoff, der uns unser Leben zurückgibt, von jemandem entwickelt worden ist, der als Kind aus der Türkei zu uns kam. Bei SunExpress habe ich über die deutsch-türkische Community gelernt, wie kreativ sie ist. Das wird hierzulande vollkommen unterschätzt!
Was ist mit Thema Digitalisierung?Die Krise hat uns allen einen Schub gegeben. Wir sind als digitale, innovative Airline unterwegs, das ist unser Leitmotiv. So haben wir in Rekordzeit eine App entwickelt, weil wir gemerkt haben, jetzt ist der Demand da. Unsere Kunden wollen touchless fliegen, die wollen Online-Boarding-Pässe und ähnliches. Vermutlich haben wir die erste NDC-basierte Airline-App gebaut und diese noch in der Kurzarbeit gelauncht. Da bin ich wirklich stolz auf unser Team!
Wir danken fürs Gespräch!
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