Chamäleon-Gründer Ingo Lies

„Veranstalter müssen Vorbild sein“

Ein Gespräch mit Chamäleon-Gründer Ingo Lies über Slow Travel, Nachhaltigkeit und warum wir nicht auf das Reisen verzichten sollten.

„Veranstalter müssen Vorbild sein“
Foto: Chamäleon
Interview Iris Quirin

Herr Lies, Fernsehzuschauer konnten im Januar zur besten Sendezeit den Chamäleon-Werbespot sehen, der das nachhaltige Reisen in den Fokus stellt. Unsere Urlaubsreisen sind oft auch Fernreisen, die einen hohen CO2-Fußabdruck verursachen. Wie lässt sich das miteinander vereinbaren?
Das ist tatsächlich ein kleines Dilemma, und lässt sich nicht vermeiden, will man die Welt mit eigenen Augen sehen und fremde Kulturen kennenlernen. Doch unsere Reisen haben vor allem zahlreiche positive Aspekte: Sie führen ganz überwiegend in Schwellen- und Entwicklungsländer, nach Afrika, Lateinamerika und Asien. Wir wissen aus Studien, dass jeder Gast, der mit uns reist, im Durchschnitt zehn Arbeitsplätze für einen Monat sichert. Und im Reiseland achten wir darauf, dass wir nachhaltige, wenn immer es geht, In-haber-geführte, kleine Unterkünfte nutzen, die auch entsprechend zertifiziert sind. Die Unterkunftsbesitzer, deren Mitarbeiter und unsere Reiseleiter vor Ort schulen wir selbst mit dem Ziel, dass so wenig CO2 wie möglich entsteht. Wir veranstalten auch Nachhaltigkeitswettbewerbe unter unseren - Unterkunftsbesitzern, um sie anzuspornen und damit alle von einer guten Idee profitieren können. Der Flug ist aber nicht wegzudiskutieren, und je länger, desto größer der CO2-Fußabdruck.

Wie muss die Branche insgesamt das Thema angehen und wie können Sie als Reiseveranstalter zur Nachhaltigkeit in den Urlaubsländern beitragen?
Hier bedarf es aus meiner Sicht einer Strategie mit mehreren Aspekten. Langfristig brauchen wir Bio-Kerosin, das nachhaltig produziert wird. Das ist aus meiner Sicht Aufgabe der Fluggesellschaften und der Regierungen, die Bio-Kerosin fördern können, wie es bereits in anderen Branchen üblich ist, etwa bei der Elektromobilität. Im Flugverkehr wird hier noch zu wenig unternommen. Wir als Reiseveranstalter können die bestmögliche Flugverbindung auswählen, die am wenigsten Kerosin verbrauchen. Das heißt, wir bieten möglichst Direktflüge an, und innerhalb Deutschlands bieten wir kostenlos Zug zum Flug in der 1. Klasse an. Und wir können den CO2-Fußabdruck, den unsere Gäste verursachen, ausgleichen. Das machen wir bei Chamäleon. Wir kaufen für jeden Gast, der mit uns eine Reise macht, 100 Quadratmeter Regenwald und stellen ihn unter Naturschutz. Der Regenwald kompensiert nonstop CO2 und bindet darüber hinaus auch noch Kohlenstoff im Boden. Für Reisen, die zu weiter entfernten Zielen führen, etwa ins südliche Afrika, nach Ecuador oder Chile, werden wir sogar 200 bis 300 Quadratmeter Regenwald pro Gast kaufen, um ein noch größeres Zeichen zu setzen, dass wir als Reiseveranstalter zwingend Vorbild bei der Nachhaltigkeit im Tourismus sein müssen.


Tansania: Auch Kleinstunternehmer werden einbezogen und können vom Tourismus profitieren

Kann denn langfristig überhaupt für alle Reisen zur Kompensation Regenwald dazugekauft werden?
Ja, und das sollte er auch, denn sonst verschwindet er schlichtweg, denn wir stehen vielerorts im Wettbewerb mit der Holz- und Ölindustrie. Viele Nationalparks würden ohne den Tourismus gar nicht mehr existieren, sondern wären längst abgeholzt, weil die Menschen dort arm sind und auch ihre Einnahmen brauchen. Das heißt, der Tourismus leistet einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt dieser Ökosysteme. Daher halte ich es für richtig, dass Länder wie Tansania oder Uganda hohe Nationalparkgebühren verlangen. Die Chamäleon Rainforest Foundation hat inzwischen 15 Millionen Quadratmeter Regenwald in zwei Gebieten gekauft, dabei handelt es sich zu 90 Prozent um Primärregenwald. Die Größe lassen wir auch gerade wieder von Wissenschaftlern vermessen. Neben der CO2-Kompensation ist der Erhalt des Primärregenwaldes auch ein wichtiger Beitrag zum Naturschutz, zum Erhalt der Tierarten und insgesamt zum Wohl der indigenen Bevölkerung.

Urlauber wollen Studien zufolge durchaus nachhaltig reisen, allerdings klappt das bei der Umsetzung nicht so richtig. Woran liegt das und woran erkennt man überhaupt, ob eine Reise wirklich nachhaltig ist?
Wir können und sollten das Thema Nachhaltigkeit nicht dem Kunden auferlegen. Es sollten alle Aspekte – auch die Nachhaltigkeit – in den Reisepreis einfließen. Dass der Wunsch der Urlauber und die Wirklichkeit noch auseinanderklaffen, hat meiner Meinung auch damit zu tun, dass die Urlauber die Beratungsangebote in den Reisebüros noch nicht ausreichend nutzen. Reisebüros wie die Lufthansa City Center haben viele Nachhaltigkeitsschulungen erhalten und wissen genau, welche Hotels nachhaltig und zertifiziert sind. Bei Chamäleon bekommt jeder Gast am ersten Tag seiner Reise kostenfrei eine Trinkflasche aus Edelstahl, die er mit quellfrischem Wasser auffüllt, statt ständig eine neue Plastikflasche zu nutzen und wegzuwerfen. Eine kleine Sache, aber damit sparen wir 650.000 Plastikflaschen pro Jahr.

Nachhaltigkeit ist ja nicht nur der CO2-Fußabdruck. Was bedeutet nachhaltiger Tourismus denn insgesamt?
Das Thema Nachhaltigkeit fängt für mich schon beim Reiseveranstalter an: Unsere beiden Chamäleon-Häuser werden im Winter mit Wärmepumpen geheizt und im Sommer gekühlt. Jeder Mitarbeiter bekommt ein kostenfreies Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Wir haben kostenfreies, ökologisches Essen in unserer Cafeteria, nutzen Solaranlagen für die Stromproduktion und sind fast papierlos. Und wenn wir Papier einsetzen, dann gleichen wir das mit dem Pflanzen von Bäumen wieder aus. Im Chamäleon-Wald auf der Yucatán-Halbinsel stehen schon über 16.000 Bäume. Neben der bereits erwähnten Kompensation der Flugreisen durch die Erhaltung des Regenwaldes gehört zur Nachhaltigkeit auch der respektvolle Umgang mit den Menschen vor Ort. Daher setzen wir auf einheimische Reiseleiter, die wir eigens schulen. Sie zeigen unseren Gästen ihre Heimat und kehren auch mal Einheimischen zum Essen ein. Das ist automatisch Urlaub auf Augenhöhe, man kommt als Gast und geht als Freund. Nachhaltiger geht es nicht.

INGO LIES: Der Gründer von Chamäleon engagiert sich für nachhaltige und soziale Projekte. Er ist unter anderem im Vorstand der gemeinnützigen Organisation Futouris engagiert, die sich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse, den Erhalt der biologischen Vielfalt und den Umwelt- und Klimaschutz einsetzt