Interview mit Peter-Mario Kubsch

"Reisen ist viel mehr als Urlaub machen"

Im Interview spricht Studiosus-Geschäftsführer Peter-Mario Kubsch über die Chancen und Herausforderungen des nachhaltigen Tourismus und warum wir Geduld brauchen.

"Reisen ist viel mehr als Urlaub machen"
Fotos: Studiosus
Herr Kubsch, eine scheinbar einfache Frage: Dürfen wir angesichts der drohenden Klimakrise überhaupt reisen?
Die Antwort ist schlichtweg: ja! Reisen ist viel mehr als Urlaub machen. Reisen bereichert, erweitert den Horizont, auf Reisen sammeln wir neue Erfahrungen, gewinnen neue Eindrücke. Es entsteht eine Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen und deren Menschen. Reisen ist ein Beitrag zu Toleranz und Völkerverständigung. Und wie wichtig diese Themen sind, sehen wir gerade angesichts des schrecklichen Kriegs gegen die Ukraine. Reisen schafft aber auch Einkommen in den Gastländern. Für viele Ziele, Destinationen und Reiseländer sind diese Einnahmen ein gewichtiger Teil des Bruttosozialprodukts. Das haben wir in Pandemiezeiten gesehen, als der Tourismus großenteils zum Erliegen gekommen ist.

Wer gerne Urlaub auf Balkonien macht, stellt zunächst den Klimaschutz in den Mittelpunkt. Aber die anderen Aspekte, nämlich die ökonomischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte, entfallen. Ist es nicht Zeit, die Diskussion zu erweitern?
Urlaub auf Balkonien kann auch sehr erholsam und schön sein. Und es spricht nichts gegen Verzicht. Aber alle diese zusätzlichen Erfahrungen, die wir durchs Reisen gewinnen, gehen dann verloren. Zudem verkürzt es die Diskussion, da haben Sie Recht. Das ist doch gerade das Thema bei Fridays for Future. Nachhaltigkeit ist mehr als Klimaschutz! Nachhaltigkeit hat eben auch eine ökonomische und soziale Komponente. Natürlich sind Ökologie und Klimaschutz wichtig, aber es gehören immer alle drei Komponenten zusammen. Der positive Nutzen, den das Reisen auch mit sich bringt, fällt bei der Klima-Debatte komplett unter den Tisch.

Auf der Jahrestagung der Reisebranche in Griechenland wurde das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz ganz vorne auf die Agenda gesetzt. War das richtig oder vielleicht doch zu spät?
Es ist absolut richtig, dass sich der Verband hier positioniert hat, Nachhaltigkeit und Klimaschutz aktiv aufgreift und gleichzeitig versucht, konkret Maßnahmen zu ergreifen. Man kann natürlich lange diskutieren, ob die Maßnahmen ausreichend sind. Aber ich glaube, es war mehr als an der Zeit, dass sich die Branche bewegt.

Man könnte auch argumentieren, dass es viel früher hätte sein können?
Es ist nie zu spät, sich in gesellschaftspolitischen Fragen zu positionieren und Stellung zu beziehen. Auf der anderen Seite muss man den DRV natürlich auch in Schutz nehmen: Der Verband kann immer nur das umsetzen und vertreten, was die Mehrheit seiner Mitglieder will. Ich glaube, dass wir in der Branche Nachhaltigkeit zu wenig ernst genommen haben. Natürlich wird die Zukunft der Branche ganz maßgeblich davon abhängen, wie die Gesellschaft diese Fragen beantwortet und welche Richtlinien und Vorgaben letztendlich die Politik für uns definieren wird. Mein Ansatz ist dabei: Probleme aufgreifen und aktiv lösen, und nicht darauf warten, dass der Spielraum enger wird.



Wenn über Nachhaltigkeit geredet wird, dann wird oft so getan, als ob ein neues Thema entdeckt wurde. Aber Studiosus war ja schon sehr früh damit unterwegs und ist als einer der Nachhaltigkeitspioniere bekannt. Wie gehen Sie das Thema an?
Wir begreifen Nachhaltigkeit umfassend und gehen Schritt für Schritt, sodass wir kontinuierlich besser werden. Ich könnte Ihnen jetzt unsere Nachhaltigkeits-Matrix für die einzelnen Bereiche zeigen. Darauf sind 236 soziale und ökologische Einzelmaßnahmen gelistet, mit denen wir uns beschäftigen. Auf der anderen Seite ist es so: Wir als Reiseveranstalter verkaufen ja nicht das Produkt Nachhaltigkeit, sondern wir verkaufen tolle Reisen. Unsere Kundinnen und Kunden erwarten aber von uns, dass wir ihre Reise in einer möglichst nachhaltigen Form durchführen. Deswegen steht bei uns Nachhaltigkeit nie im Zentrum der Kommunikation, sondern dort steht immer das Reiseerlebnis mit exzellenten Reiseleiterinnen und Reiseleitern. Aber natürlich informieren wir auch darüber, warum diese Reisen möglichst nachhaltig sind, also umweltschonend, sozial verantwortlich und ökonomisch ertragreich für das jeweilige Gastland.

Und was tun Sie praktisch gegen den Klimawandel?
Letztendlich läuft alles auf den Dreiklang hinaus, dass wir zunächst einmal negative Einflüsse auf das Klima vermeiden. Zum Beispiel, indem wir die Bahnanreise zum Abflugsort in den Reisepreis einschließen. Wo sie nicht vermeidbar sind, versuchen wir, diese zu reduzieren. Und wo auch die Reduktion nicht möglich ist, geht es um die Kompensation durch Investitionen in Klimaschutzprojekte. Wir setzen bei unserem Klimaschutzengagement auf Biogasanlagen in Nepal und Indien, denn die gleichen nicht nur Treibhausgasemissionen aus, sondern helfen den Menschen vor Ort auch ganz praktisch.

Es gibt aktuelle Studien, die besagen, dass Kunden gerne Nachhaltigkeit fordern, aber in dem Moment, wo ein Preis dafür aufgerufen wird, wollen viele nicht mehr. Wie lässt sich das lösen?
Das deckt sich mit unseren Erfahrungen bei der Flugkompensation. 2012 sind wir dazu übergegangen, die CO2-Emissionen aller Bus-, Bahn- und Schiffsfahrten auf unseren Reisen zu kompensieren und in den Reisepreis einzuschließen. Lange haben wir mit unterschiedlichen Strategien und Taktiken versucht, unsere Kunden zu überzeugen, zusätzlich freiwillig ihre Flüge zu kompensieren. Doch wir haben – wie alle anderen Anbieter auch – keine guten Erfahrungen damit gemacht. Am Anfang dümpelte die Erfolgsquote unter einem Prozent. Mit viel Überzeugungsarbeit und Aufklärung stieg sie auf vier bis sechs Prozent. Dennoch: Die Akzeptanz für Kompensation wächst. Nach unseren Erfahrungen hängt es davon ab, wie leicht man es dem Kunden macht. Deshalb haben wir 2021 einen weiteren großen Schritt gemacht und kompensieren auch Flüge und Hotelübernachtungen inklusive der Verpflegung. Die Kosten dafür schließen wir in den Reisepreis ein. Und ja, das erfordert natürlich Mut.

Reisebüros fordern seit langem, dass nachhaltige Angebote in den Systemen schneller und leichter zu finden sein sollen. Woran hapert es?
In der Tat ein schwieriges Thema. Bei der Pauschalreise oder gar bei einer Rundreise wird es schnell kompliziert, weil wir eben nicht nur über die ökologischen Aspekte, sondern im Dreiklang der Nachhaltigkeit auch über die sozialen und die ökonomischen Aspekte reden. Und dafür Kennziffern zu entwickeln ist nicht trivial. Es gibt seit eineinhalb Jahren eine Projektgruppe, die diesen geforderten Nachhaltigkeitsindex schaffen will – in dieser sind wir auch aktiv. Spätestens bei dem Thema, welcher soziale Nutzen bei der Urlaubsreise entsteht, wird es ganz, ganz schwierig. Wir beschäftigen uns schon lange mit dem Thema und ich weiß, wo die Fußangeln sind. Die Kennzeichnung ist im Sinne des Nachhaltigkeits-Dreiklangs noch ein weiter Weg, aber wir sollten ihn Schritt für Schritt gehen.